Jahres­bericht 2023

Kunsttransformiert

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freund*innen des Kunstmuseum Wolfsburg,

Kunst transformiert. Für das Jahr 2023 haben wir uns für diesen Titel entschieden, denn damit wird nicht nur eines der wesentlichen Merkmale der Kunst umschrieben, sondern auch die Programmatik des zurückliegenden Jahres bestens erfasst. Und es ist zeitgleich das erste Mal, dass wir unseren Jahresbericht digital – und damit zeitgemäß und nachhaltig – präsentieren.

Kunst transformiert – dabei geht es immer um Wandel oder Verwandlung. In der Kunst wird zunächst ein Gedanke in ein konkretes Werk transformiert: Das können Worte, Bilder, Skulpturen, Filme, Musik o. Ä. sein. Der zeitgenössischen Bildenden Kunst geht es jedoch um weit mehr, da sie auch die ästhetische Umwandlung von Wissen, von Erfahrungen oder Visionen umfasst. Das macht sie so unglaublich faszinierend und animiert immer wieder aufs Neue, sich mit ihr auseinanderzusetzen, sie auszustellen, über sie mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen und mit ihr den gesellschaftlichen Diskurs zu bereichern.

Auf ganz besonders anschauliche Weise konnte das Phänomen der Transformation bei der Ausstellung Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen verfolgt werden. Zunächst bei den Werken von Piet Mondrian selbst, die verdeutlichen, wie konsequent eine ganze künstlerische Weltanschauung in den Werkkomplex von Mondrians äußerst reduzierten neoplastischen Bildern übertragen worden ist. Diese herausragende Transformationsleistung hat bis heute zahlreiche Künstler*innen und Kreative aus den Bereichen Mode, Design oder Architektur inspiriert, sich mit Mondrian und seinem Hauptwerk auf vielfältigste Weise auseinanderzusetzen. Die unglaublich große Wirkungsgeschichte von Piet Mondrian zeigte sich auch an dem partizipativen Projekt Bring your own Mondrian, bei dem rund 70 Menschen ihre vom Künstler inspirierten Alltagsobjekte ins Museum brachten. Auch medial konnte eine ausgesprochen positive Bilanz rund um die „grandiose Schau“ (art Das Kunstmagazin, 07/2023) zu Mondrian gezogen werden. Neben zahlreichen Berichterstattungen hat der Fernsehsender ARTE, initiiert durch unsere Ausstellung, die einstündige Dokumentation Abstrakt und radikal. Mondrians Vermächtnis produziert.

Aber auch die weiteren Ausstellungen im Jahr 2023 haben unter dem Aspekt der Transformation Faszinierendes präsentiert: Freundschaften. Gemeinschaftswerke von Dada bis heute hat dies gleich in Doppel- oder Mehrfachpackungen beleuchtet, denn dort wurden gemeinschaftliche Transformationsleistungen präsentiert, die – egal ob sie kritisch, subversiv, sich selbst bestärkend oder humorvoll daherkamen – den Prozess des künstlerischen Verwandelns in ihrer jeweiligen Zeit eindrücklich dargestellt haben. Auch die kurzfristig ins Programm genommene Schau Ukrainian Dreamers. Charkiwer Schule der Fotografie konnte aus transformatorischer Perspektive Wichtiges beitragen, denn sie zeigte anhand von achtzehn Positionen, wie innerhalb der letzten sechzig Jahre in der Ukraine der Fotografie ein Wandel vom Medium der Dokumentation zur künstlerischen Ausdrucksform gelungen ist. Gleichzeitig gelang es der Charkiwer Schule, unter Verwendung von technisch-experimentellen Praktiken, die Richtlinien des damals in der UdSSR geforderten Sozialistischen Realismus und Verbote der sowjetischen Kulturbehörden zu unterlaufen und daraus künstlerischen Gewinn zu ziehen. Darüber hinaus war die Ausstellung aber auch ein politisches Statement einer genuin ukrainischen Kunstrichtung.

Die beeindruckendsten künstlerischen Transformationen konnte jedoch die Ausstellung Kapwani Kiwanga. Die Länge des Horizonts bieten. Wie nur wenigen anderen Künstler*innen gelingt es Kiwanga, aufgrund ihrer umfassenden Rechercheleistungen in Archiven und Bibliotheken, aber auch auf Basis intensiver Auseinandersetzung mit der westlichen Kunst der Postmoderne, insbesondere der Minimal Art, Kunstwerke zu schaffen, die radikal ästhetisch sind und zugleich – gewissermaßen als Kehrseite der Medaille – eine Vielzahl globalgesellschaftlicher Probleme wie Rassismus, Machtmissbrauch, ökologische Exzesse oder historische Fakten thematisieren. Intensive Farben, ungewöhnliche Materialien und Licht sind die wichtigsten Mittel für die Wandlungsprozesse der vielfach ausgezeichneten Künstlerin. Auch diese Ausstellung erfreute sich über eine umfassende mediale Berichterstattung. Neben zahlreichen Pressemeldungen (u. a. in der Süddeutschen Zeitung, EIKON) hat der ORF in der einstündigen Sendung Licht Macht Kunst neben unserer Ausstellung Macht! Licht! auch über unsere Schau von Kapwani Kiwanga berichtet.

Eine Transformation ganz anderer Art gelingt jedes Jahr aufs Neue unserer engagierten Kunstvermittlung, denn sie muss die – manchmal recht komplexen – thematischen und künstlerischen Inhalte unserer Ausstellungen in zugängliche und gut verwertbare Informationen für unsere Besucher*innen verwandeln und kommunizieren. Dies gelingt zusätzlich zu den klassischen Vermittlungsformaten besonders gut über digitale Medien, wodurch insbesondere jüngere Menschen angesprochen werden. Ein herausragendes Beispiel ist das von uns etablierte und bereits von anderen Museen adaptierte Format Studio Digital, wofür wir für den Grimme Online Award nominiert worden sind – eine Auszeichnung der besonderen Art! Seit letztem Jahr vermitteln wir die Inhalte unserer Projekte zudem analog und niedrigschwellig für ein möglichst breitschichtiges Publikum, indem wir alle Texte in unseren Ausstellungen in sogenannter Einfacher Sprache anbieten, wofür wir nicht nur von zahlreichen Besucher*innen viel Lob bekommen, sondern sogar auch von der Süddeutschen Zeitung (11.10.2023). Mit dem steten Transformationsprozess innerhalb der Kunstvermittlung ist eine weitere Öffnung hin zu bisher unerschlossenen Besucher*innengruppen verbunden, da gerade sie für die Zukunftsfähigkeit unseres Museums wichtig sind.

Die Ideen rund um alles, was mehr Nachhaltigkeit und damit eine hohe ökologische Verantwortung bietet, stehen selbstverständlich weiterhin unter einer beständigen Transformation. Ein Wandel hin zu weniger Emissionen, weniger Ressourcenverbrauch und damit auch Energieeinsparung ist unser großes übergeordnetes Ziel. Das interne Team Nachhaltigkeit begleitet in kleinen, aber kontinuierlichen Schritten diesen Transformationsprozess. So haben wir 2023 unter anderem in den Ausstellungen zugunsten von recycelbaren Papierbahnen auf Schnittplots aus Kunststoff verzichtet und vor allem Dank der Förderung durch die N-Bank die Umrüstung unserer Beleuchtung auf LED-Systeme auf den Weg gebracht, wodurch wir künftig bis zu 235 Tonnen CO₂ pro Jahr einsparen werden.

Wenn wir einerseits mit Freude auf das erfolgreiche Jahr 2023 zurückblicken, so muss aber andererseits auch ein Ereignis erwähnt werden, das uns alle am Beginn des Jahres sehr bestürzt hat: der Tod von Prof. Dr. Carl H. Hahn (1926–2023). Aus Liebe zur Kunst und enger Verbundenheit zu Stadt und Region hatte er Ende der 1980er-Jahre die Initiative zum Bau des Kunstmuseum Wolfsburg ergriffen. Ihm gelang es, neben der Volkswagen AG und der Stadt Wolfsburg die von Asta und Christian C. Holler gegründete gleichnamige Stiftung sowie weitere Spender*innen für die Vision eines international agierenden Museums für die Kunst von der Klassischen Moderne bis hin zur Gegenwart zu gewinnen. Im Foyer des Museums erinnern wir mit seiner Büste an ihn und seine herausragenden Verdienste um unser Haus.

Wir fühlen uns dem Gründungsgedanken des Kunstmuseum Wolfsburg, kulturelle Bildung für die Region zu bieten, weiterhin und gerne verpflichtet. Blickt man auf das Jahr 2023 zurück, so wird dies durch unsere vielfältigen Aktivitäten, seien es Ausstellungen, Vermittlungsprogramme, Veranstaltungen oder Publikationen, bestens belegt. Gerade in Zeiten der Angriffe auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist eine im besten Sinne „funktionierende“, mithin bereichernde, aber auch kritische Kunstszene wichtiger denn je. Die Transformationen, welche die Kunst zu leisten imstande ist, können durch nichts ersetzt werden. Im Wissen um diesen eminenten Wert danken wir allen „unseren“ Künstler*innen, unseren Förderern und Förderinnen und Unterstützer*innen, Kooperationspartner*innen und natürlich Ihnen, unserem wunderbaren Publikum!

Andreas Beitin & Team

Ausstellungen

Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen

INFE©TED Mondrian, so lautet der Titel einer Serie von Werken des Künstlerkollektivs General Idea. „Infiziert“ oder vielmehr: „mondrianisiert“ sind aber nicht nur viele Werke der zeitgenössischen Kunst, sondern auch die Region Wolfsburg während der Dauer der Ausstellung. Wie die partizipative Aktion Bring your own Mondrian im Rahmen der Schau offenbarte, hatte Mondrians „Neue Gestaltung“ längst Einzug in den Alltag der Menschen gehalten. Kleider, Kochbücher, Lampen, Schreibwaren, ein Fahrrad und viele weitere von Besucher*innen im Vorfeld und während der Laufzeit ausgeliehene Gegenstände zeigten die von Mondrian typischen vertikalen und horizontalen Linien sowie Flächen in den Farben Rot, Gelb und Blau. Die grundlegende These der Ausstellung, dass Piet Mondrian der am meisten und am vielfältigsten zitierte Künstler ist, bewahrheitete sich sowohl in Bezug auf die Populärkultur als auch hinsichtlich der angewandten und bildenden Kunst. Selbst im Internet und auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen besitzt der bedeutende Maler der Moderne posthum den Status eines Influencers.

Die ungeheure Strahlkraft, die von Mondrians Bildern ausgeht, konnte in einem zentralen Rundbau mit Gemälden aus rund drei Jahrzehnten nachvollzogen werden. In den umliegenden Räumen nahm die Ausstellung ein umfassendes Spektrum seiner Rezeption in den Blick. So bezog sich beispielsweise die begehbare Lichtinstallation Pier and Oceanvon François Morellet und Tadashi Kawamata auf eine frühe gleichnamige Serie von Mondrian und machte sie auf eine neue und immersive Weise erlebbar. Wie zahlreiche weitere Beispiele der Ausstellung belegten, hatte der Künstler nicht nur zu Lebzeiten größten Einfluss auf die niederländische De Stijl-Bewegung, deren Gründungsmitglied und theoretischer Vordenker er war, sondern auch auf viele nachfolgende Generationen an Künstler*innen auf der ganzen Welt. Mondrians Vorliebe für den Jazz wurde von der Kunst ebenso kommentiert wie seine neoplastischen Kompositionsprinzipien und seine bisweilen ideologisch vertretenen theoretischen Ansätze.

Angelehnt an die ikonischen Cocktailkleider von Yves Saint Laurent, die maßgeblich in den 1960er-Jahren zur Popularität Mondrians beitrugen, wurde das Projekt Look like a Mondrian, bei dem sich die Besucher*innen in einem Mondrian-Outfit präsentierten, zu einem großen Erfolg. Auch im digitalen Bereich erfuhren die partizipativen Angebote eine hohe Resonanz: Allein auf der digitalen Lernplattform Studio Digital veröffentlichten hunderte Nutzer*innen ihre eigenen Mondrian-Kreationen, die sie mit dem speziell für die Ausstellung programmierten Mondrian Maker zuvor spielerisch erstellt hatten.

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Nie fiel es [jedenfalls] so leicht, Mondrian als epochalen Künstler zu bewundern, wie in dieser grandiosen Ausstellung, die vorführt, auf wie viele Arten man sich an einem großen Vorbild abarbeiten kann.
Art Magazin, Wolfgang Ullrich, Juli 2023
Willkommen im Mondrian-Archipel.
Jens Hinrichsen, Monopol, März 2023
Er beeinflusst nicht nur Generationen von Künstlerinnen und Künstlern, sondern schlägt sich bis heute auch in der Alltagskultur nieder. Das Kunstmuseum Wolfsburg widmet dem Phänomen jetzt eine große Ausstellung.
NDR online, Janek Wiechers, 11. März 2023
Eine groß angelegte, fabelhafte Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg
Hannoversche Allgemeine Zeitung, Michael Stoeber, 10. März 2023

Peter Keetman. 70 Jahre Volkswagenwerk 1954

Im April 2023 jährte sich zum siebzigsten Mal die ungewöhnliche Entstehung einer der prägnantesten Fotoserien der deutschen Nachkriegszeit. Peter Keetman (1916−2005), einer der wegweisenden Fotografen seiner Zeit, hatte im Volkswagenwerk Wolfsburg Bilder aufgenommen, die heute zu den Ikonen der Subjektiven Fotografie zählen. Aus dieser 71 Werke umfassenden Serie wurden 60 Arbeiten auf der Empore und der Passerelle des Museums präsentiert.

Diese außergewöhnlichen Fotografien, welche die Produktion vom Rohblech bis zum fertigen Automobil verfolgen, und die Keetman nur mit seiner Rolleiflex-Kamera und einem Stativ unter den vorhandenen Lichtverhältnissen schuf, wurden erst dreißig Jahre später einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Zu diesem Zeitpunkt war Keetman längst kein Unbekannter mehr: 1949 Gründungsmitglied der avantgardistischen Fotografengruppe fotoform, bestimmte er in den 1950er-Jahren maßgeblich die Richtung der Subjektiven Fotografie um Otto Steinert mit. Bereits seit 1948 war Keetman in allen wichtigen deutschen, später auch in einigen internationalen Fotozeitschriften vertreten. Seine Arbeiten befinden sich heute in internationalen Sammlungen wie dem Metropolitan Museum of Art New York und dem Art Institute of Chicago.

Peter Keetman, Innenhaut für Käfertüren mit Pressen in Halle 2, aus der Serie „Volkswagenwerk 1953“, 1953

Mit zahlreichen Interessierten wurde bei der Podiumsdiskussion Peter Keetman. Das Erlebnis des Augenblicks lebhaft und intensiv debattiert. Die Ausstellung sowie die Podiumsdiskussion konnten mit freundlicher Unterstützung der Volkswagen Financial Services AG und in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS) Wolfsburg realisiert werden, das dem Jubiläum auch eine Sonderausgabe von DAS ARCHIV (Nr. 27) widmete. Die Ausstellung erlangte in der Presse internationale Aufmerksamkeit.

Die Aufnahmen, die Peter Keetman vor 70 Jahren im Volkswagenwerk in Wolfsburg gefertigt hat, gehören heute zu den Klassikern der Industriefotografie. Zu sehen sind sie jetzt im Kunstmuseum Wolfsburg in der Ausstellung „Peter Keetman. 70 Jahre Volkswagenwerk 1953.“
Wolfsburger Allgemeine Zeitung, Lars Lohmann, 31. März 2023
Seine Fotoserie Volkswagenwerk 1953 gehört heute zu den Ikonen der sogenannten Subjektiven Fotografie.
Hallo Niedersachsen, 30. März 2023
Keetmans Ansichten aus dem Volkswagenwerk wurden bereits mehrfach in Ausstellungen gezeigt. Jetzt sind die betörend schönen Schwarz-Weiß-Fotos in einer Sonderausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen. Sie werden in der ersten Etage gezeigt; im Erdgeschoss ist die vor Kurzem eröffnete große Mondrian-Ausstellung zu sehen. Weil in beiden Bereichen Wiederholungen und klare Linien so wichtig sind, passen die Ausstellungen sehr gut zusammen.
Hannoversche Allgemeine Zeitung, Ronald Meyer-Arlt, 18. April 2023

Freundschaften. Gemeinschaftswerke von Dada bis heute

„1 + 1 = 3“, so lautete die prägnante Formel, mit der die Gastkuratorin Blandine Chavanne und der Künstler Jean-Jacques Lebel das Prinzip der künstlerischen Zusammenarbeit auf den Punkt brachten. Das kuratorische Duo gab mit der Ausstellung Freundschaften einen pointierten Überblick über die Vielfalt an Gemeinschaftswerken, die aus einem spontanen Impuls und der Lust an der Improvisation in den Bereichen der Bildenden Kunst, aber auch in der Literatur und Musik in den zurückliegenden 150 Jahren hervorgegangen sind.

Eine Fußball-Weltmeisterschaft, kollektive Erlebnisse in der Berliner Subkultur, die Idee eines gemeinschaftlichen Ladenlokals, das Sinnieren über die Farbe, die Liebe zur Musik, aber auch alltägliche Café-, Kneipen- und Ausstellungsbesuche sowie nächtliche Trinkgelage – all diese Zusammenkünfte und Interessen unter Freund*innen konnten zur Initialzündung für gemeinsame künstlerische Projekte werden. Eindrücklich veranschaulichte die Ausstellung, wie Freundschaften zur Triebkraft für neue kreative Experimente wurden und neue Methoden, Spiele sowie Techniken bis in die Gegenwart hervorbringen.

Ein bewegender Moment der Eröffnung war, als Jean-Jacques Lebel vor dem Grand tableau antifasciste collectif (1960) seine Erinnerung teilte, als er während des Algerienkrieges gemeinsam mit seinen Freunden Enrico Baj, Roberto Crippa, Gianni Dova, Antonio Recalcati und Erró mit dem Bild „aus einem reinen, impulsiven Akt der Wut“ über die Folter und Vergewaltigung der damals 23-jährigen algerischen Freiheits­kämpferin Djamila Boupacha protestierte.

Diese und andere persönliche Einblicke und Begegnungen manifestierten sich zweifelsohne auch in der von ihm und Blandine Chavanne in harmonischem Dialog kuratierten Ausstellung. So wurde die Schau auf vielen Ebenen zu einem Freundschaftsprojekt und trug dazu bei, alte Verbindungen zu beleben und neue zu knüpfen. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit wurde das Projekt in Kooperation mit dem Mucem – Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers in Marseille realisiert.

Freundschaften präsentiert eine beeindruckende Auswahl der Cadavres exquis, etwa von André Breton, Yves Tanguy oder von Nusch Éluard und Paul Éluard.
Der Spiegel, 20. Mai 2023
Die Ausstellung Freundschaften. Gemeinschaftswerke von Dada bis heute im Kunstmuseum Wolfsburg zeigt bis zum 24. September, dass Kunstproduktion oft alles andere als ein einsamer Vorgang ist.
NDR kultur, Janek Wiechers, 15. Mai 2023
Kunst macht mitunter weniger Arbeit, wenn man sie mit anderen herstellt. Gemeinschaftswerke von Dada bis heute, darunter dieses von Jean Tinguely und Yves Klein, zeigt eine Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg.
ZEITmagazin, 25. Mai 2023

Kapwani Kiwanga. Die Länge des Horizonts

„Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt eine abgefahrene Retrospektive der Künstlerin Kapwani Kiwanga“, schrieb die Süddeutsche Zeitung, „Schönheit mit doppeltem Boden“, „farbgewaltige Geschichten“, „berührend und klug“, „poetisch und politisch“ lauteten weitere Schlagworte aus den zahlreichen Berichterstattungen. Durch die enorme Wirkungsmacht aus der Kombination von Farbe, Licht, ungewöhnlichen Materialien und relevanten Inhalten überzeugte die erste Mid-Career-Retrospektive der kanadisch-französischen Künstlerin samt der begleitenden Publikation nicht nur die Presse, sondern war auch beim Publikum ein großer Erfolg.

Überraschend wurden die Besucher*innen zu Beginn der Ausstellung direkt in einen sechzehn Meter langen Farblichttunnel geführt, um sich dann in der großen Ausstellungshalle von raumgreifenden, aber auch zarten Arbeiten ästhetisch verführen zu lassen. Erst auf den zweiten Blick und durch die zur Verfügung gestellten Zusatzinformationen erschlossen sich die zahlreichen Bedeutungsebenen und Bezüge im gesellschaftsanalytischen Werk von Kapwani Kiwanga, ihre sorgfältige Archivarbeit sowie intensive Recherche.

Auf einer Ausstellungsfläche von fast 2.000 Quadratmetern verband Die Länge des Horizonts Arbeiten aller Medien, die zwischen 2009 und 2023 entstanden sind, zu einem abwechslungsreichen Parcours, der visuell, körperlich und intellektuell erfahrbar war und zahlreiche Fragen aufwarf: Wie bewegen wir uns in unserem urbanen Umfeld? Wie frei sind wir? Wie tragen Gesetzgebung, Stadtplanung und Architektur dazu bei, dass sich bestimmte Strukturen in den Gesellschaften verankert haben? Wer überwacht wen? Welche Rolle spielen Licht und Farbe dabei? Wie kann die Natur zu Widerstand beitragen? Warum setzen sich einige Welterklärungsmuster als real durch und andere nicht? Wieso hat geschriebene Geschichte ein größeres Gewicht als oral überlieferte?

Kapwani Kiwanga lenkt unsere Aufmerksamkeit mit ihren Werken auf historische und gegenwärtige Ungleichgewichte, nicht nur im globalen Kontext, sondern auch in unserem unmittelbaren Alltag. Sie instrumentalisiert natürliche und künstliche Materialien, macht sie zu Botschaftsträgern, um lokale und transnationale Geschichte(n) neuartig und zukunftsweisend zu erzählen.

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Auf die Frage, wie lang der Horizont denn sei, antwortete Kapwani Kiwanga in einem Gespräch mit der Kuratorin im Rahmen der Eröffnung, dass er so lang sein kann, wie wir es nur wollen. In diesem Sinne lud sie mit ihrer Ausstellung zu einem entgrenzenden Denken ein. Ihr poetisches Vermessen unseres gesellschaftlichen Horizonts dient seiner Erweiterung.

An aesthetically pleasing immersive exhibition
Aesthetica Magazine, Iman Sultan, Ausgabe Aug/Sept 2023
Ihre raumgreifenden Installationen […], Fotos und Performances sind aber keine spröden Gesellschaftsanalysen, sondern Überwältigung aus Licht, Farbe und Material.
Myself, Ausgabe 10/2023
Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt eine abgefahrene Retrospektive der Künstlerin Kapwani Kiwanga.
Süddeutsche Zeitung, Till Briegleb, 12. Oktober 2023
In Wolfsburg wird Kapwani Kiwanga poetisch
Monopol Magazin, Elke Buhr, Ausgabe Sept/2023

Ukrainian Dreamers. Charkiwer Schule der Fotografie

Fotografien, die ihre Betrachter*innen wie ein unerwarteter Schlag treffen sollen – mit diesem und weiteren Ansprüchen entwickelte ab den 1960er-Jahren eine Gruppe von Fotograf*innen, die zur Charkiwer Schule der Fotografie gehören, ihre künstlerischen Strategien. Wie vielfältig ihre innovativen Ansätze sind, zeigte die Ausstellung Ukrainian Dreamers. Charkiwer Schule der Fotografie eindrücklich. Technische Eingriffe und Experimente wie Collagen oder Solarisationen mischen sich in den Arbeiten der Künstler*innen mit – teils subversiven – politischen und gesellschaftskritischen Anliegen. Mit den folgenden Generationen veränderten und erweiterten sich die künstlerischen Mittel, ihre anfänglichen Prinzipien bestanden aber weiterhin fort: das Experiment und der kritische Blick.

Bei der Ausstellung handelte es sich nicht nur um die erste größere Präsentation dieses künstlerischen Phänomens in Deutschland, auch die Umstände ihrer Entstehung waren ungewöhnlich: Denn die ausgestellten Fotografien sind aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nach Wolfsburg gelangt. So stellte die Eröffnung der Ausstellung insbesondere für den Kurator Sergiy Lebedynskyy, Leiter des MOKSOP Museum of the Kharkiv School of Photography, und die anwesenden Künstler*innen eine emotionale Veranstaltung dar. Im Begleitprogramm zur Schau gaben sie spannende Einblicke in die Geschichte der Bewegung der Charkiwer Schule der Fotografie und stellten sich Fragen nach ihrer Zukunft. Für große Begeisterung sorgte das anekdotenreiche Gespräch zwischen den Künstlern Boris Mikhailov und Evgeniy Pavlov, das den kreativen Drang verdeutlichte, mit dem sie den Zwängen der Sowjetunion begegneten und spätere Generationen beeinflussten.

Die Ausstellung wurde in Kooperation mit dem MOKSOP Museum of the Kharkiv School of Photography entwickelt und für die anschließende Präsentation in der Kommunalen Galerie Berlin angepasst.

Die Wirren des Ukraine-Krieges haben ein wertvolles Konvolut von Fotos nach Wolfsburg gebracht. Nun sind dort Vertreter der Charkiwer Schule zu sehen – was für fantastische Entdeckungen.
Monopol Magazin online, Lennart Laberenz, 12. Oktober 2023
Die Ausstellung „Ukrainische Träumer – die Charkiwer Schule der Fotografie“ im Kunstmuseum Wolfsburg zeigt einen winzigen Einblick in jene Freiräume, welche sich die Ukrainer schon unter der Knute des Großen Bruders künstlerisch schufen.
Braunschweiger Zeitung, Martin Jasper, 13. Oktober 2023
Wer Einblicke in die künstlerischen Entwicklungen der Charkiwer Schule der Fotografie gewinnen will, sollte das Kunstmuseum Wolfsburg besuchen.
Deutschlandradio Kultur, Fazit, 13. Oktober 2023
In dieser packenden Wiederentdeckung mit dem Titel “Ukrainian Dreamers” ist die Bedingtheit der Kunst durch politische Rahmenbedingungen das Kernthema. Aber die Exponate formulieren den starken Appell, sich nicht unterkriegen zu lassen im Eigensinn.
Süddeutsche Zeitung, Till Briegleb, 11. Dezember 2023

Paolo Pellegrin. Fragile Wunder

„Schönheit und Schrecken liegen in der Welt häufig nah beieinander.“ Mit diesen Worten fasste Paolo Pellegrin die in der Ausstellung Fragile Wunder zu sehenden Fotografien und Videoarbeiten treffend bei der Pressekonferenz zusammen. Der vielfach prämierte Fotograf, der vor allem für seine intensiven Kriegsreportagen bekannt ist, befasst sich seit Jahren auch mit den dramatischen Auswirkungen der menschengemachten Klimakatastrophe, die er auf seinen zahlreichen Reisen um die Welt in Form von hochästhetischen und präzise komponierten Landschafts- und Tierporträts dokumentiert.

So erzählte Pellegrin, dass er Landschaften als eine „Haut“ begreife, die sich über die Erde erstreckt. Indem er sich häufig auf die Strukturen und Texturen der von ihm fotografierten Landschaften konzentriere, lege er deren „Wunden und Narben“ frei, die als Folgen der globalen Erderwärmung entstanden sind und sich in die Topografie der Erde eingeschrieben haben.

Ein besonderer, wenngleich auch nachdenklich stimmender Höhepunkt der Ausstellung, die auf circa 800 Quadratmetern 125 ausgewählte Arbeiten Pellegrins versammelte, war ohne Frage die erstmals präsentierte Fotografie der beiden letzten lebenden Nördlichen Breitmaulnashörner namens Najin und Fatu. Anlässlich der Schau wurde von der Aufnahme eine auf 200 Exemplare limitierte und vom Künstler signierte Poster-Edition produziert.

Bereits im Vorfeld der Ausstellung konnte erfolgreich mit der Italienischen Konsularagentur in Wolfsburg kooperiert werden, wodurch es Schüler*innen der Leonardo da Vinci Schule ermöglicht wurde, in einem Meet and Greet mit Paolo Pellegrin die Ausstellung zu besichtigen. Ein weiteres Ergebnis der Kooperation mit der Konsularagentur war ein sehr gut besuchter, nahezu ausverkaufter Abend unter dem Motto „Kunst und Musica“, bei dem nebst einer Führung durch die Ausstellung ein Konzert des Musiker-Duos Petti-Molino präsentiert wurde. Ein wiederum literarisch ausgerichtetes Konzert mit dem Titel Die zerbrechliche Welt der Schauspielerin und Musikerin Johanna Krumstroh und der Pianistin Jung Eun Séverine Kim bildete zu Beginn des Jahres 2024 den perfekten Auftakt der monatlich stattfindenden Veranstaltungsreihe Volkswagen Group Art4All.

Die Schau, die ursprünglich für die Gallerie d’Italia, Museum Intesa Sanpaolo in Turin entwickelt wurde, ist in Zusammenarbeit mit Paolo Pellegrin sowie Andréa Holzherr, Global Cultural Director der Agentur Magnum Photos, für das Kunstmuseum Wolfsburg erweitert und angepasst worden.

Pellegrins Bilder ziehen uns hinein. Entfalten eine soghafte Kraft. Bilder, die die enorme Pracht der Natur sichtbar machen und zugleich ihre große Verwundbarkeit.
Deutschlandfunk, Kultur Heute, Janek Wiechers, 26. November 2023
Der italienische Magnum-Fotograf zeigt uns im Kunstmuseum Wolfsburg unsere Welt an den Kipppunkten – in wunderschönen Bildern.
kulturnews, Volker Sievert, 22. November 2023
Eine Auswahl seiner direkten, aber auch poetischen und bisweilen surreal wirkenden Arbeiten zeigt nun das Kunstmuseum Wolfsburg in der Schau “Fragile Welten” eine bildgewaltige Reise um die Welt […].
geo.de, 24. November 2023
Im Kunstmuseum Wolfsburg zeigt der Kriegsfotograf Paolo Pellegrin seine Bilder einer gefährdeten Natur.
Wolfsburger Nachrichten, Martin Jasper, 24. November 2023

Publikationen

Auch im Jahr 2023 konnten wir drei – zum Teil prämierte – Bücher zu unseren Ausstellungen produzieren, die nicht nur über die jeweiligen Schauen hinausreichten, sondern die auch durch die vielfältigen Texte renommierter Autor*innen die Kunst und ihre Themen aus unterschiedlichen Perspektiven untersuchten und dadurch zur Nachhaltigkeit unserer ausstellungsbezogenen Forschungen beitrugen.

Erwerbungen

Das Kunstmuseum Wolfsburg freute sich auch im Jahr 2023 über eine Vielzahl von hochkarätigen Kunstwerken, die dem Haus von Sammler*innen oder Künstler*innen großzügig geschenkt oder deren Ankauf durch Institutionen ermöglicht worden sind. Die neu hinzugekommenen Kunstwerke ergänzen auf hervorragende Weise bereits bestehende Sammlungsbestände oder begründen durch globale oder weibliche Positionen neue thematische Schwerpunkte. Wir danken den Donator*innen und Unterstützer*innen für die gestifteten Kunstwerke sehr herzlich.

Museum on tour

Auch 2023 war wieder ein reges Reisejahr für Werke aus unserer Sammlung. So wurden Plazenta (1993) und Regel (2000) von Neo Rauch im niederländischen Zwolle gezeigt, zwei Werke von Stanley Brouwn reisten über den Atlantik und waren Teil einer Retrospektive des Künstlers im Art Institute of Chicago. Das Deutsche Historische Museum in Berlin widmete sich dem Fortschritt als Versprechen. Industriefotografie im geteilten Deutschland, zu der Fotografien von Peter Keetman beitrugen, während das Gemälde Himmler (1998) von Luc Tuymans in der Doppelausstellung Luc Tuymans / Edith Clever in der Akademie der Künste am Pariser Platz einen kritischen Akzent setzte. Ebenso brachte die großformatige Fotoarbeit Pyongyang V von Andreas Gursky in der Ausstellung Flowers Forever. Blumen in Kunst und Kultur der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München eine politische Perspektive ein. Die Installationen 24kW von Sigrun Appelt und Same Shame von Jens Pecho brachten buchstäblich Licht in das Water Light Festival in Brixen bzw. in die Nürnberger Ausstellung Who's Afraid of Stardust? Im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité ging es um Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst. Hier erwies sich die Videoinstallation A Lapse of Memory von Fiona Tan als der zentrale Beitrag zum Thema Gedächtnis. Und unsere Arbeit Those who would douse it (...) von Firelei Báez bereicherte die Überblicksausstellung der Künstlerin im Louisiana Museum bei Kopenhagen, von wo sie 2024 mit der gesamten Ausstellung nach Wolfsburg zurückkehren wird.

Firelei Báez, Those who would douse it (it does not disturb me to accept that there are places where my identity is obscure to me, and the fact that it amazes you does not mean I relinquish it), 2018

Kunstvermittlung

Bestehende Formate zu überdenken, Programme und Projekte weiterzuentwickeln und Neues zu schaffen – das stand 2023 im Fokus der Kunstvermittlung. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf der Ausstellung Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen. Die Ausstellung bereicherte das Team der Kunstvermittlung mit dem partizipativen Projekt „Bring your own Mondrian“. In einem überdimensionalen Regal im Eingangsbereich der Ausstellung fanden Objekte und Gegenstände aus privaten Haushalten Einzug, die eindeutig im Stil von Piet Mondrian gestaltet waren: vom mondrianschen Osterei bis zu einem Rennrad, von Bucheinbänden bis zu Lampenschirmen, aber auch Barbiekleider, Radiergummi, Taschen und Shirts – etwa 70 Leihgeber*innen ergänzten die Ausstellung durch ihre persönlichen Gegenstände. Neue Wege ging die Kunstvermittlung auch in Kooperation mit der Young Generation. Realisiert wurde eine Matinée zum Thema Kunst und Mode mit dem kurdischen Modedesigner Ferhat Kartal. Im Anschluss eines Rundgangs durch die Ausstellung konnten sich die Teilnehmer*innen in einem eigens für die Veranstaltung eingerichteten Showroom von seinen Ideen, Visionen und seiner Kunst inspirieren lassen. Und auch für die kleinsten Besucher*innen wurde mit dem Theaterstück bli-blip des Theaterhaus Ensembles (Frankfurt) ein besonderes Erlebnis geschaffen: Die Inszenierung, die in Kooperation mit dem Scharoun Theater Wolfsburg im Museum aufgeführt wurde, machte Kinder im Vorschulalter auf humorvolle Weise mit den Bildern von Piet Mondrian und mit Jazz bekannt.

Digital hat die Kunstvermittlung bestehende Angebote nicht nur weiterentwickelt, sondern sich mit ihren Projektpartner*innen auch in besonderer Weise profiliert. Eigens für die Ausstellung Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen wurde die interaktive Plattform Studio Digital um einen Mondrian-Bereich mit neuem Kreativ-Tool, dem Mondrian-Maker, erweitert. Der Launch erfolgte auf der didacta, der größten Messe für Bildungswirtschaft in Europa. Zuletzt überraschten dann gleich zwei herausragende Nominierungen die Erwartungen des gesamten Teams. Nominiert wurde Studio Digital für den DigAMus Award und den Grimme Online Award. Der DigAMus Award zeichnet die besten digitalen Projekte der Museen im deutschsprachigen Raum aus. Der Grimme Online Award ist eine nicht dotierte Auszeichnung für publizistische Qualität im Internet, die seit 2001 vom Grimme-Institut vergeben wird. Dafür reiste das Team der Kunstvermittlung zusammen mit Martin Härtlein von FuzzyFusion und Sara Dahme und Ryan Biryukova vom Max-Born-Gymnasium Backnang zur feierlichen Preisverleihung nach Köln. Auch wenn es zuletzt nicht für den Preis reichte, so war allein schon die Nominierung aus über 800 Projekten eine Auszeichnung.

Grimme Online Award, Preisverleihung, Flora Köln 2023

Geschäftsbericht

Aus Sicht der Geschäftsführung ist es erfreulich, über das Jahr 2023 zu berichten; denn die schwierige Zeit der Pandemie, welche die Museen und die gesamte Kulturlandschaft vor Herausforderungen gestellt hat, hat gleichzeitig in vielen Instituten für eine interne Weiterentwicklung bei der Digitalisierung, der Nachhaltigkeit und den Angeboten für die Besucher*innen gesorgt, die nun erste Ergebnisse mit sich bringt.
Vor diesem Hintergrund erscheint auch dieser Jahresbericht zum ersten Mal in digitaler Form. Auch ein zeitgemäßer Wandel innerhalb der Institution ist spürbar, welcher der demografischen Entwicklung geschuldet ist, und so haben wir weitere Angebote für Mitarbeitende an individuellem Zeitmanagement, Gesundheitsförderung und Beteiligung an Entscheidungen der Organisation geschaffen.

40.216
Besuche
9.130.000
Erlöse gesamt
8.230.000
Ausgaben
600.000
Umsatz Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb

Bei den inzwischen vorliegenden, vorläufigen wirtschaftlichen Ergebnissen des Berichtsjahres 2023 ist es Dank des großen Engagements aller Mitarbeitenden gelungen, mehr und neue Besuchende zu erreichen, sodass die Jahresbesucher*innenzahl um ca. 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist. Zugegebenermaßen waren da die Besuchszahlen noch der pandemiebedingten Zurückhaltung geschuldet, aber wir sind zuversichtlich, dass wir das kontinuierliche Wachstum fortsetzen können.

Das unserem Aufsichtsgremium avisierte wirtschaftliche Ziel wurde 2023 erreicht, sodass verfügbare Mittel in das Jahr 2024 übertragen werden konnten, um die geplanten Projekte umzusetzen.

Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb hat mit den drei Bereichen des Wandbausystems wob³walls, dem Museumsshop und der Raumvermietung den insgesamt höchsten Umsatz der letzten zehn Jahre zu verzeichnen. Zu dem erfreulichen Ergebnis hat vorrangig der Umsatz in unserem Shop mit dem die Mondrian-Ausstellung begleitenden Sortiment beigetragen, aber auch die angebotenen Artikel im Designer Outlet, der Autostadt und der Tourist-Information wirkten sich spürbar aus.

Sukzessive wächst nun auch wieder das Interesse an Vermietungen unserer Räumlichkeiten: Firmenevents, Seminare und private Anlässe werden wieder bei uns gebucht, allerdings noch nicht auf dem Niveau wie vor der Pandemie. Kooperationen mit lokalen Partnern wie dem Convention Büro der Wolfsburg Marketing Gesellschaft tragen zu einer positiven Entwicklung bei.

Unser Wandbau hat sich 2023 vieler Einzelaufträge, vor allem aus Deutschland, erfreut. So konnten wir u. a. das Lenbachhaus in München für seine erfolgreiche Turner-Ausstellung mit Wandsystemen aus Wolfsburg unterstützen. Besonders gefreut hat es uns, dass das Nationalmuseum in Oslo mittlerweile zu einem unserer Stammkunden geworden ist. Auch weitere internationale Anfragen bis hin in den arabischen Raum bestärken uns in der Hoffnung, diesen Geschäftsbereich weiter professionalisieren zu können.

In das Jahr 2024 starten wir mit einigen wichtigen Aufgaben, so etwa mit der Erneuerung der IT. Der zunehmende Kostendruck wiederum zwingt uns, organisatorische interne Anpassungen vorzunehmen; hier stehen bisher als sinnvoll erschienene Leistungen, Angebote und Abläufe auf dem Prüfstand.

Und natürlich freuen wir uns auf den 30. Geburtstag des Kunstmuseum Wolfsburg. Eine solche Zeitspanne hat aber auch zur Folge, dass technische und bauliche Sanierungen notwendig werden. So ist nach umfangreichen Planungen in 2023 bereits mit der Umstellung der Beleuchtung in den Ausstellungsbereichen auf LEDs begonnen worden. Die Klimatechnik und andere Bereiche werden folgen müssen. Gerade für diese Maßnahmen gilt im Sinne der Nachhaltigkeit die Zielvorgabe, notwendige Energie- und Ressourceneinsparungen in allen Arbeitsbereichen umzusetzen.

Volkswagen Group Art4All

Kunst für alle zugänglich zu machen und neue Besucher*innengruppen für das Kunstmuseum Wolfsburg zu gewinnen, war auch 2023 die Zielsetzung des Formats Volkswagen Group Art4All, das sich nach Corona wieder wachsender Beliebtheit erfreut.

Interessierte genießen jeweils am letzten Mittwoch des Monats zwischen 16 und 21 Uhr freien Eintritt in das Kunstmuseum und können zwischen 16 und 19 Uhr an Führungen teilnehmen. Das Atelier für Besucher*innen, vielfältige Sonderprogramme wie Konzerte, Talks, Filme oder Performances und unsere Gastronomie laden zum Verweilen ein.

Highlights des Jahres 2023 waren neben den gut besuchten Parties die Poetry-Performance von Jessy James LaFleur, der VortragMondrian goes Pop des bekannten Kunstwissenschaftlers Wolfgang Ullrich, ein Konzert mit dem Neuen Ensemble aus Hannover, der Auftritt des Wolfsburger Drei-Sterne-Kochs Sven Elverfeld oder auch das begeisternde Klavierkonzert von Juan Peñalver Madrid inmitten der Ausstellung von Kapwani Kiwanga.

Durch dieses monatliche Format sowie zahlreiche weitere Veranstaltungen parallel zu unseren Ausstellungen konnten wir 2023 unsere Besucher*innenzahlen um rund 25% gegenüber dem Vorjahr steigern.

Volkswagen Group Art4All wird auch weiterhin dank der großzügigen Unterstützung von Volkswagen Cultural Engagement im Kunstmuseum Wolfsburg vielen Menschen außergewöhnliche Erlebnisse bieten.

Veranstaltungen

Das Kunstmuseum Wolfsburg konnte sich 2023 weiter als attraktive Veranstaltungslocation im Süden des Wolfsburger Stadtzentrums regional wie auch national positionieren. Immer mehr Menschen und Unternehmen haben das Haus als Erlebnisort für sich entdeckt. Das Zusammenspiel der einzigartigen Atmosphäre, der besonderen Architektur und der wechselnden Ausstellungen des Hauses, mit den auf zwei Ebenen verteilten Veranstaltungsflächen, bietet Raum für kulturelle und gesellschaftliche Veranstaltungen von 20 bis 2.000 Personen.

Ein Beispiel für eine besonders gelungene Veranstaltung war das Car Future Symposium: Das Kunstmuseum Wolfsburg konnte es als Abendveranstaltung für sich und die Tagung für den Standort Wolfsburg gewinnen. Die Keynote sprach Thomas Schäfer, CEO Volkswagen Pkw, der im Anschluss in einem Interview, geführt von dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Ferdinand Dudenhöffer, die Zukunft der Automobilbranche und insbesondere die Rolle von Volkswagen erläuterte. Weitere Vorträge renommierter Referent*innen rundeten das Abendprogramm ab.

Darüber hinaus wurde im Kunstmuseum Wolfsburg fünf Jahre Volkswagen Transform Minds gefeiert. Diese Tagung wiederum wurde vom Konzernvorstand Thomas Schmall (Volkswagen Group Technology) mit einer Keynote begleitet. Neben fachthematischen Vorträgen konnten die Teilnehmer*innen bei einer Rallye zwischen Kunst und Transformation der Automobilbranche das Kunstmuseum erleben und den Tag auf der sonnendurchfluteten Holler-Terrasse ausklingen lassen.

Das Kunstmuseum nimmt seine Aufgabe im Rahmen der Gesellschaft ernst und beteiligt sich im Kulturquartier Wolfsburg e. V. Ziel ist es, die südliche Porschestraße mit Aktionen wie der Osterrallye für Familien, dem Programm „Mit Eis in die Ferien“ für Schulen, die im Kulturquartier liegen, sowie dem Blue Moon Picknick und der Adventssause zu beleben. Die Aktionen finden sehr großen Zuspruch bei den Wolfsburger*innen. Des Weiteren engagiert sich das Kulturquartier maßgeblich bei dem Projekt „Innenstadtentwicklung“.

Nachhaltigkeit

Nachhaltig zu agieren, Ressourcen zu schonen und die eigenen CO₂-Emissionen zu reduzieren, ist ein zentrales Anliegen des Kunstmuseum Wolfsburg. Vor diesem Hintergrund hat sich das Team Nachhaltigkeit, das sich aus Kolleg*innen aller Abteilungen des Museums zusammensetzt, zur Kernaufgabe gemacht, sämtliche Arbeitsbereiche im Sinne der Nachhaltigkeit kontinuierlich zu transformieren.

Umweltbewusstes Handeln beginnt mit kleinen Maßnahmen im Arbeitsalltag, z. B. bei der richtigen Mülltrennung, dem Einsparen von Papier und der Verwendung von Recyclingpapier. So wurde die Publikation anlässlich der Ausstellung Kapwani Kiwanga. Die Länge des Horizonts aus zertifiziertem Recyclingpapier hergestellt. Die Wandtexte in den Ausstellungen, die zuvor aus PVC-basierter Klebefolie produziert wurden, sowie sämtliche Printprodukte werden ebenfalls aus recyceltem Papier hergestellt. Zudem konnten insbesondere im Rechnungswesen wichtige interne Arbeitsprozesse digitalisiert werden.

Die Überarbeitung des Energiemanagementsystems und die Umstellung auf CO₂-einsparende LED-Beleuchtung im Verwaltungsbereich des Museums wurde im vergangenen Jahr erfolgreich umgesetzt.

Im Ausstellungsbereich werden Materialen und Displays, wie z. B. Vitrinen oder Sockel, selbstverständlich wiederverwendet und unser museumseigenes Wandsystem wob3walls steht seit jeher für eine nachhaltige Ausstellungsarchitektur.

Im Hinblick auf die soziale Dimension der Nachhaltigkeit wird fortwährend daran gearbeitet, die Inhalte der Ausstellungen unseren Besucher*innen so zugänglich wie möglich zu vermitteln. So werden beispielsweise sämtliche Ausstellungstexte auch in Einfacher Sprache verfasst. Darüber hinaus wurde unsere Website barrierearmer und inklusiver für Menschen mit visuellen Beeinträchtigungen gestaltet.

Dies sind nur einige Beispiele der nachhaltigen Maßnahmen, die umgesetzt werden, um das Kunstmuseum Wolfsburg Schritt für Schritt zu transformieren.

Der Freundeskreis des Kunstmuseum

Kunst entdecken und Künstler*innen fördern – mit viel Engagement und Freude hat der Freundeskreis des Kunstmuseum Wolfsburg auch 2023 sein Motto verfolgt, indem er vor allem viel gereist ist: So führte die erste Tagesreise die Freund*innen im März nach Potsdam. Nach dem Besuch der Ausstellung Sonne. Die Quelle des Lichts in der Kunst im Museum Barberini erkundeten die Mitreisenden die neue Institution Das Minsk Kunsthaus in Potsdam. Die Gründungsdirektorin Paola Malavassi, die bereits im Rahmen des Neujahrsempfangs des Freundeskreises Das Minsk in Wolfsburg vorgestellt hatte, begrüßte die Mitglieder nun in ihrem Haus.

Die mehrtägige Reise, die der Freundeskreis jährlich versucht zu realisieren, führte die mitreisenden Mitglieder im September nach Marseille und Arles. Die Kombination von südfranzösischem „savoir vivre“, zeitgenössischer Kunst und atemberaubender Architektur war dabei einzigartig. So konnte u. a. neben dem beeindruckenden Mucem in Marseille – Kooperationspartner des Kunstmuseums in 2023 – auch das ambitionierte Luma mit seinem weitläufigen Gelände in Arles besucht werden.

Eine weitere Tagesreise führte die Mitglieder im November nach Hamburg: Das Gespräch mit dem Künstler Dirk Stewen in seinem Atelier war dabei derart interessant, dass der vorgesehene Zeitrahmen weit überschritten wurde. Es blieb aber ausreichend Gelegenheit, um auch die Sammlung Falckenberg mit der wunderbaren Sonderschau Cindy Sherman. Anti-Fashion zu besuchen.

Außerdem pflegte der Freundeskreis auch in 2023 die Nachbarschaft zum Kunstverein Braunschweig: Einem Besuch der Freunde aus Braunschweig im März folgte der Gegenbesuch im August.

Weitere Highlights im Jahresprogramm waren natürlich auch die exklusiven Previews zu den einzelnen Ausstellungen des Kunstmuseum Wolfsburg, bei denen der Freundeskreis in gewohnter Weise nach einer erläuternden Einführung im Rahmen von kleinen Gruppen bereits vor der offiziellen Eröffnung Einblicke gewinnen kann.

Eine besondere Freude war das großartige Engagement und die damit verbundene positive Entwicklung der Young Generation. Im Laufe eines guten Jahres konnten die jungen Freund*innen die Mitgliedszahlen ihres Bereiches verzehnfachen, sodass zum Ende des Jahres rund 80 Mitglieder der Young Generation zum festen Bestandteil unseres Freundeskreises gehören.

Young Generation

Ein Jahr voller Kunst, Beats und Inspiration

Die Young Generation, die sich seit September 2022 als Teil des Freundes­kreises des Kunstmuseum Wolfsburg e.V. neu gegründet hat, setzt sich für die Interessen sowie die Partizipation und Teilhabe junger Menschen am Museum ein. Dafür organisiert die Young Generation ehrenamtlich ein divers ausgerichtetes und für alle zugängliches Programm – und das mit vollem Erfolg. Denn seit ihrer Neugründung hat sich nicht nur die Mitgliederzahl des jungen Freundeskreises verzehnfacht, sondern es wurden viele neue Impulse und Perspektiven geschaffen, die sich auch im Programm 2023 zeigten.

Mit dem ersten Drink & Draw startete die Young Generation ins neue Jahr. Nach einem Rundgang durch die große Hallen­ausstellung Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen ging es für die Teilnehmer*innen ins Studio zu einem Biertasting. Danach führte die iranische Künstlerin Zara Asefi im Atelier bei einem Mondrian-Acryl-Workshop in die Techniken der Malerei ein und zeigte, wie mit den Farben Rot, Gelb und Blau ein eigener „Mondrian“ auf Leinwand kreiert werden konnte.

Im Zeichen der Freundschaft stand der Graffiti-Workshop Don’t Shoot mit dem Urban-Art-Künstler Kayman und dem Sprengel Young Circle aus Hannover. Ziel war es, zwei Gemeinschaftswerke zu erstellen, angelehnt an den Geist der künstlerischen Kollektive der Ausstellung Freundschaften. Gemeinschaftswerke von Dada bis heute. Bei dem Workshop ging es neben dem Sprühen auch um die Stärkung der Freundschaft, den Dialog und das Netzwerken innerhalb der jungen Freundeskreise.

Mit ihrer ersten eigenen Foto- und Filmausstellung створи новий світ. create a new world zeigten die Young-Generation-Mitglieder Stefan Znamerovskyi und Lukas Groß erstmals ihre Arbeiten. Der 18-jährige Filmemacher Stefan Znamerovskyi flüchtete aufgrund des russischen Angriffskriegs mit seiner Familie von Odessa nach Wolfsburg und verarbeitet in seinem Film Maximus seine Gefühle dieses einschneidenden Ereignisses. Der Braunschweiger Fotograf Lukas Groß thematisiert in seiner Fotoserie Let's call it a home seinen Heimatbegriff im Rahmen seiner polnischen Migrationsbiografie. Mit dem ersten Art Rave im Kunstmuseum Wolfsburg feierte die Young Generation ihr einjähriges Jubiläum. Über 150 Besucher*innen folgten der Einladung und nahmen an dem kreativen Programm zum Jahresende teil. Die beiden HBK-Künstler Philipp Kapitza und Fabien Diffé gaben ihr Workshop-Debüt im Kunstmuseum Wolfsburg. Hierfür erstrahlte das Studio im pinken Lichtdesign und mit eigens für die Veranstaltung programmierten Visuals von Martin Härtlein. In dem perfekten Setting heizten Mathilda und Zazaris Noche mit einem abwechslungsreichen Set ein und sorgten damit für den krönenden Jahresabschluss.

Dank

Das Kunstmuseum Wolfsburg dankt sehr herzlich seinen langjährigen Stiftern, der Asta und Christian Holler-Stiftung sowie der Volkswagen AG für die Grundfinanzierung der Institution.

Wir danken außerdem dem Freundeskreis des Kunstmuseum Wolfsburg sowie unseren Förder*innen, Unterstützer*innen und Partner*innen.

Förderer/Unterstützer
Kooperations- und Medienpartner
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