In unserem Jubilä­ums­jahr stellen wir unregel­mäßig Mitar­bei­tende und ihre Arbeit vor. Uta Ruhkamp arbeitet seit fast 15 Jahren am Kunst­mu­seum Wolfsburg als Kuratorin und hat große Ausstel­lungen kuratiert, darunter zu Künstler*innen wie Jeppe Hein, Pieter Hugo, Kapwani Kiwanga und gegen­wärtig Firelei Báez, aber auch umfas­sende Themen­aus­stel­lungen wie Empower­ment (co-kuratiert mit Andreas Beitin und Katharina Koch) und In aller Munde. Wir sprechen mit ihr über das Kuratieren im Wandel der Zeit, wie Digita­li­sie­rung ihre Arbeit beein­flusst und wie man eigent­lich ein Ausstel­lungs­thema findet.

Sie sind Kuratorin am Kunst­mu­seum und haben gegen­wärtig die bildge­wal­tige und sehr gefragte Firelei-Báez-Ausstel­lung­ku­ra­tiert. Welche Themen sind für Sie ganz spezi­fisch relevant, wenn es um Ausstel­lungen geht? Wo liegt Ihr Augenmerk im Machen?

Grund­sätz­lich inter­es­siere ich mich für alle Themen innerhalb der Kunst und Kunst­ge­schichte, inter­dis­zi­pli­näre, aber auch gesell­schafts­po­li­ti­sche. Mein beson­deres Augenmerk liegt auf globalen, politi­schen, und feminis­ti­schen Fragen, die nah am Menschen, der Gesell­schaft und dem aktuellen Geschehen angesie­delt sind. Das zeigt sich auch gerade in der Ausstel­lung der domini­ka­nisch-ameri­ka­ni­schen Künst­lerin Firelei Báez, die das Kunst­mu­seum Anfang Juli eröffnet hat.

Was sind das für Fragen?

Wie gleich­be­rech­tigt leben wir in unserer diversen Migra­ti­ons­ge­sell­schaft? Wie drücken sich Künstler*innen in der Diaspora und in verschie­denen Erdteilen ästhe­tisch und politisch aus? Was wird als Kunst verstanden? Wie gehen verschie­dene Länder mit indigenen Bevöl­ke­rungs­gruppen um und wie verschaffen sich diese durch Kunst Gehör? Was können wir in Zeiten ökolo­gi­scher Bedro­hungen von diesen lernen? Die Kunst sollte ein freier Ort sein, in dem politi­sche und persön­liche Themen direkt oder indirekt verar­beitet und geäußert werden können.

Zuletzt haben Sie unter anderem die erfolg­rei­chen Ausstel­lungen In aller Munde, Kapwani Kiwanga und gemeinsam mit Andreas Beitin und Katharina Koch Empower­ment kuratiert, zwei große Themen­aus­stel­lungen und eine zu einem regel­rechten Shooting­star der Kunst­szene. Wie entstehen diese Themen in Ihrem Kopf?

Ganz unter­schied­lich: Grund­sätz­lich lese ich viel, analog wie digital. Ich reise sehr gerne, sehe mir weltweit Ausstel­lungen an und unter­halte mich auch gern mit Menschen aus aller Welt. Daraus kristal­li­sieren sich dann Themen und Künstler*innen wie z. B. Firelei Báez. Diese Ideen werden innerhalb des Teams unter Berück­sich­ti­gung unseres Stand­ortes disku­tiert und besten­falls führen sie zu einer Ausstellung.

Wie sind Sie eigent­lich zum Ausstel­lungs­ma­chen gekommen, wie war Ihr persön­li­cher Werdegang?

Nach dem Abitur habe ich Kunst­ge­schichte, Romani­sche Philo­logie (Französisch/Italienisch), und Ethno­logie studiert und dabei auch in Frank­reich und Italien gelebt. Während meiner Promotion habe ich für verschie­dene Galerien, eine Kommu­ni­ka­ti­ons­agentur sowie als Reise­lei­terin und Stadt­füh­rerin in Belgien gearbeitet. Ich habe versucht, möglichst viele Berufs­er­fah­rungen zu sammeln, sei es, um Geld zu verdienen oder in Form unbezahlter Praktika in Aukti­ons­häu­sern, Museen etc. Dabei hat sich heraus­ge­stellt, dass ich gerne in einem Museum für moderne und zeitge­nös­si­sche Kunst arbeiten würde.

Also haben Sie Ihren Traumjob! Mögen Sie verraten, was es im Alltag auch mal für Hürden gibt?

Irgend­etwas passiert immer. Ich nenne das kurato­ri­sches Impro­vi­sieren. So gut man auch plant, wenn die Kunst­werke ankommen, sieht es dann doch manchmal anders aus. Falsche Maße, die Wand ist zu klein oder zu groß, der Raum zu eng oder der Ton von Sound- und Video­ar­beiten überla­gert sich zu stark. Dann muss man spontan reagieren.

Und worauf achten Sie, wenn Sie in anderen Häusern Ausstel­lungen besuchen?

Ich achte auf die Herkunft und Auswahl der Werke, ob diese die Themen oder die Künstler*innen angemessen darstellen, die Archi­tektur und Insze­nie­rung, und darauf, wie Inhalte vermit­telt werden. Natürlich beobachte ich auch die Besucher*innen, wie sie sich in der Ausstel­lung bewegen, ob sie einen Zugang zu den ausge­stellten Arbeiten finden, ob sie Freude haben, ob sie überfor­dert sind, ob sie disku­tieren. Man kann immer von Kolleg*innen und ihrer Form des Ausstel­lungs­ma­chens lernen.

Hat sich etwas über die Zeit, in der Sie als Kuratorin tätig sind, an den Themen und der Künstler*innenauswahl gewandelt oder an der Heran­ge­hens­weise, diese aufzuspüren?

Die Kunstwelt hat sich durch die Digita­li­sie­rung, weltweite Migration oder trans­na­tio­nale Biogra­fien der Künstler*innen globa­li­siert. Der Zugang zu Wissen ist grenzenlos. Das Problem ist nun die Infor­ma­tions- und Reizüber­flu­tung. Hinzu kommt, dass ab den Neunzi­ger­jahren die ästhe­ti­schen Setzungen der europäi­schen und nordame­ri­ka­ni­schen Kunst­ge­schichte von Kunst­schaf­fenden auf anderen Konti­nenten zunehmend infrage gestellt wurden und andere Vorstel­lungen von Kunst inter­na­tional sicht­barer wurden. Die europäi­sche Ausstel­lungs­land­schaft hat sich verändert und der Druck auf Museen, die Sammlungen und das Ausstel­lungs­pro­gramm zu diver­si­fi­zieren und zu globa­li­sieren, ist immer stärker geworden. Multi­per­spek­ti­vität, Gleich­be­rech­ti­gung, trans­na­tio­nale, inter­sek­tio­nale Feminismen, Empower­ment, Kolonia­lismus, Diskri­mi­nie­rung, Migration und Diaspora, aber auch Ökologie und Zukunfts­per­spek­tiven spielen nun eine Rolle, wenn es um Sammlungs­po­litik und ein ausge­wo­genes Ausstel­lungs­pro­gramm geht. Persön­lich empfinde ich das als extrem spannend.

Und hat sich die Zusam­men­ar­beit mit Künstler*innen auch geändert? 

Ja, die Pande­mie­zeit hat uns gelehrt, dass vieles auch in Video­kon­fe­renzen disku­tiert und entwi­ckelt werden kann. Power­Point-Präsen­ta­tionen, Archi­tek­tur­pläne und Visua­li­sie­rungen werden digital geteilt und bespro­chen, sodass weniger Reisen notwendig sind. Das hat Vorteile, wenn man mit Künstler*innen von anderen Konti­nenten arbeitet. Die Zeiter­sparnis hat aber auch zu einem extremen Multi­tas­king geführt. Einige Künstler*innen gehen von einem Meeting in das nächste und stemmen viele Projekte gleich­zeitig. Im Extrem­fall sind sie zur Ausstel­lungs­er­öff­nung das erste Mal vor Ort. Das hat Konse­quenzen für die Zusam­men­ar­beit, die in einigen Fällen pragma­ti­scher geworden ist. Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich die besondere Nähe oder Bindung, die durch den inten­siven, persön­li­chen Austausch entsteht, manchmal.

Was hat sich an der Art und Weise, wie Ausstel­lungen gestaltet werden, in den letzten 14 Jahren gewandelt?

Nachhal­tig­keit ist ein wichtiges Thema, sei es im Hinblick auf die Ausstel­lungs­grafik, Archi­tektur, Insze­nie­rung oder auch im Hinblick auf inter­kon­ti­nen­tale Trans­porte. Was ist ökolo­gisch vertretbar? Wir arbeiten zum Beispiel weniger mit physi­schen Modellen, sondern nun mit 3‑D-Visua­li­sie­rungen. Inklusion und Parti­zi­pa­tion sind in den Fokus gerückt. Ausstel­lungen werden stärker von den Besucher*innen aus gedacht. So bieten wir zum Beispiel sämtliche Ausstel­lungs­texte in drei Versionen an: Einfache Sprache, Deutsch und Englisch.

Inwiefern? Wie hat sich denn das Publikum im Laufe der Zeit verändert?

In vielen Museen ist das Durch­schnitts­alter der Besucher*innen jenseits der Schul­klassen recht hoch. Das ist nichts Schlechtes, aber momentan sind Museen dabei, sich zukunfts­ori­en­tiert neu zu definieren, um ein diverses und junges Publikum anzuspre­chen. Digitale und immersive Erfah­rungen locken weltweit Besucher­massen. Wenn beispiels­weise ein Erleb­nis­raum aus proji­zierten Gemälden von Van Gogh geschaffen wird, stehen die Menschen Schlange. Über diese Entwick­lungen lohnt es sich auch bei der eigenen Ausstel­lungs­ge­stal­tung nachzu­denken. Neigen Menschen nun dazu, Kunst erleben zu wollen? Vielleicht, es ist ein spiele­ri­scheres Lernen. Das haben wir gerade wieder bei unserer Kapwani Kiwanga-Ausstel­lung medial verfolgen können, in der es einen sehr attrak­tiven Farblicht-Tunnel gab. Ein Spekta­ku­la­ri­täts­faktor spielt also durchaus eine Rolle.

Foto: Marek Kruszewski