Sunshine & Noir. Art in L.A. 1960-1997
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Los Angeles – kaum eine andere Großstadt löst so widersprüchliche Assoziationen aus wie die 15 Millionen-Metropole an der amerikanischen Westküste. Eine Stadt fast ohne Zentrum, die kaum öffentliche Verkehrsmittel hat; mit endlosen gleichförmigen Wohnvierteln, durchwirkt von einem dichten Netz mehrspuriger Autostraßen und einem Wald riesiger Reklametafeln. Ewiger Sonnenschein und bodygestylte Jugend am palmengesäumten Strand, Baywatch. Traumfabrik Hollywood, eingezäunte Villenviertel in Bel Air und Beverly Hills. Blutige Kämpfe zwischen Gangs verschiedener Hautfarben, Plünderungen, Eskalationen von Gewalt. Immer wieder bebt die Erde, werden große Siedlungsflächen durch Feuer vernichtet. Eine einzige Region, zwischen den Fluten des Pazifik, schneebedeckten Bergen und ausgedehnten Wüstenzonen gelegen, scheint alle Extreme zwischen Paradies und Hölle in sich zu vereinen. Hier schrieb Raymond Chandler Drehbücher für jene Filme der „Schwarzen Serie“, die Humphrey Bogart in den Vierzigerjahren berühmt machten. Hierhin übersiedelte 1964 der englische Maler David Hockney, um seitdem in seinen farbenprächtigen Gemälden das Licht Kaliforniens zu feiern.
Mit über zweihundert Werken aus den Bereichen Malerei, Zeichnung, Skulptur, Fotografie, Video und Environment gibt „Sunshine & Noir“ einen Überblick über vierzig Jahre des Kunstschaffens in Los Angeles und vermittelt zugleich einen Einblick in das aktuelle Geschehen in Südkalifornien. Damit stellt das Kunstmuseum Wolfsburg nach dem britischen „Full House“, wieder eine Kunstlandschaft vor, die ganz besonders von Alltags- und Massenkultur geprägt ist. Bruce Nauman, einem ihrer wichtigsten und kritischsten Vertreter, der ebenfalls bei „Sunshine & Noir“ dabei ist, war zuvor eine Einzelausstellung gewidmet.
Die ethnische und kulturelle Vielfalt von Los Angeles spiegelt sich in einer Kunstszene, die lange im Schatten New Yorks als dem Kunst- und Kunsthandelszentrum Amerikas stand und die entgegen der New Yorker Szene eher von ausgeprägtem Individualismus der Künstler als von Gruppierungen (Action Painting, Minimalismus) geformt wurde. Lars Nittve, Direktor des Louisiana Museum in Humlebæk, hat neunundvierzig Künstler ausgewählt. Anhand ihrer Werke lassen sich quer durch die Generationen verschiedene Hauptströmungen ausmachen.
Maler wie Sam Francis und Richard Diebenkorn, Lichtkünstler wie James Turrell, Robert Irwin und Doug Wheeler haben sich vom Licht und der Weite der Pazifikküste anregen lassen; Objektkünstler wie Edward Kienholz und George Herms, Performancekünstler wie Chris Burden, Mike Kelley und Paul McCarthy gehen gesellschaftliche Probleme an, spüren soziale und psychische Befindlichkeiten auf; Laura Aguilar, Catherine Opie und David Hammons verbinden ihre künstlerische Arbeit mit dem Selbstverständnis ihrer jeweiligen Black, Chicano oder Lesbian Community; und nicht zuletzt stehen Ed Ruschas großformatige Leinwände oder Allen Ruppersbergs wandfüllende Schriftplakate für die Auseinandersetzung mit der Bilder- und Zeichenflut auf den Highways von Los Angeles.
Von den Fotos des Schauspielers Dennis Hopper, der Anfang der Sechzigerjahre die jungen Künstler in L.A. mit der Kamera begleitet hat, bis zu den scheinbar chaotischen Environments von Jason Rhoades, einem Mitglied der aktuellen, höchst lebendigen Kunstszene, möchte „Sunshine & Noir“ einem europäischen Publikum vermitteln, dass Los Angeles wohl die amerikanischste aller amerikanischen Großstädte, ein vitales, kreatives Klima hervorbringt, dessen Qualität, wie Lars Nittve mit Salman Rushdie formuliert, „in neuen, unerwarteten Verbindungen von Menschen, Kulturen, Ideen, politischen Vorstellungen, Filmen und Liedern beschlossen liegt.“
Katalog
Sunshine & Noir. Art in L.A. 1960–1997
Texte von Anne Ayres, Laura Cottingham, Mike Davis, Russell Ferguson, William R. Hackman, Timothy Martin, Terry R. Myers, Lars Nittve und Peter Schjeldahl
22 x 26 cm, 237 S., 114 s/w und 104 farbige Abb.
Cantz Verlag, Ostfildern 1997
ISBN 3–89322-939–6
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