Mariko Mori

Esoteric Cosmos

30. 1. — 9. 5. 1999

Infos

„Mariko Mori. Esoteric Cosmos“ ist die erste umfas­sende Ausstel­lung der Künst­lerin auf dem europäi­schen Kontinent und zeigt 11 Großfo­to­gra­fien und Video­in­stal­la­tionen aus den Jahren 1995 bis 1998. Die in Zusam­men­ar­beit mit der Serpen­tine Gallery in London entwi­ckelte Ausstel­lung wurde in Wolfsburg von Gijs van Tuyl, dem Direktor des Kunst­mu­seums Wolfsburg, kuratiert. Er sagt zu den Werken Moris: „Die Kunst von Mariko Mori ist eine Synthese aus Bipola­ri­täten: Wirklich­keit und Fantasie, Ernst und Humor, Science und Fiction. Verlo­ckung und Verfüh­rung sind Teil ihrer Doppel­stra­tegie. Die Verfüh­rungen der Außenwelt werden einge­setzt, um den Betrachter in die Innenwelt zu locken.“

Die starke Präsenz von Alltags- und Jugend­kultur in ihren Werken offenbart den Einfluss der Pop Art der 60er-Jahre auf die junge Künst­lerin. Inhalt­lich lässt sich daher ein Bezug zur voran­ge­gan­genen Ausstel­lung des Kunst­mu­seums „Andy Warhol. A Factory“ herstellen. Gleich­zeitig erfolgt eine Anbindung an das sich anschlie­ßende Ausstel­lungs­pro­jekt „Avant­gar­de­robe. Kunst und Mode im 20. Jahrhundert“.

Mariko Mori, 1967 in Tokio geboren, studierte zunächst Modede­sign in Japan und arbeitete in den späten 80er-Jahren als Fotomo­dell. Sie besuchte Kunst­hoch­schulen in London und absol­vierte das Indepen­dent Study Program des Whitney Museum of American Art in New York.

Seit 1993 war Mori in inter­na­tio­nalen Ausstel­lungen vertreten. Im Jahr 1997 erregte vor allem ihre Arbeit „Nirvana“ Aufsehen, die sie im Rahmen der Ausstel­lung „Passato, Futuro, Presente“ der Biennale di Venezia vorstellte.

Die ersten Arbeiten, die große Beachtung fanden, waren Fotogra­fien aus dem Jahr 1994, in welchen die Künst­lerin als serviler Cyborg, halb Mensch, halb Maschine, auftrat oder sich als futuris­tisch anmutende Kriegerin insze­nierte. Die von der Künst­lerin perso­ni­fi­zierten Gestalten scheinen Science-Fiction-Filmen und Comic-Heften entsprungen zu sein. In selbst entwor­fenen Kostümen posiert Mori zumeist unbeachtet von den Passanten in den überfüllten Straßen der Metropole Tokio. Mori thema­ti­siert hier Stereo­typen von Frauen­rollen in der Gesell­schaft und befasst sich mit den Möglich­keiten der Darstel­lung von Weiblich­keit im Technologiezeitalter.

Die fotogra­fi­schen Arbeiten „Birth of a Star“ und „Empty Dream“, beide 1995 entstanden, wurden mit dem Computer nachbe­ar­beitet und zeigen die Künst­lerin als synthe­ti­sche Kreatur in einer surrealen und artifi­zi­ellen Szenerie. Mori erscheint in „Birth of a Star“ als Plastik­puppe und Popidol mit wild aufge­sträubten Haaren, übergroßen Kopfhö­rern mit einge­bautem Radio, Mikrofon und glänzendem Disco-Outfit. Die Fotografie wird in einer 3‑D-Box präsen­tiert und von einem Lied begleitet, welches Mori selbst geschrieben hat. Der Titel der Arbeit spielt auf eine beliebte Talent­show des japani­schen Fernse­hens an.

Die Dimen­sionen von „Empty Dream“ erinnern an großfor­ma­tige Histo­rien­ge­mälde des 19. Jahrhun­derts, jedoch auch an Plakat­flä­chen aus dem urbanen Kontext. Die Künst­lerin begegnet uns hier gleich vier Mal als glitzernde Meerjung­frau in einer künst­li­chen angelegten Badewelt, dem Ocean Dome in der Präfektur Miyazaki in Japan. Das Himmels­pan­orama endet abrupt, die Dachkon­struk­tion wird sichtbar und so verweist der Titel „Empty Dream“ auch auf den artifi­zi­ellen Charakter der nachge­bauten Natur.

Moris Instal­la­tion „Esoteric Cosmos“ besteht aus vier großfor­ma­tigen Fotogra­fien: „Entropy of Love“ (1996), „Burning Desire“ (1996–98), „Mirror of Water“ (1996–98) und „Pure Land“ (1997), die die Natur­ele­mente Luft, Feuer, Wasser und Erde symbo­li­sieren. Die Fotogra­fien wurden von Mori im Painted Desert in Arizona, in der Wüste Gobi in Asien, in einer Grotte in Frank­reich und am Toten Meer aufge­nommen. Die Künst­lerin taucht in den drama­ti­schen Schau­plätzen jeweils als gottgleiche Gestalt oder extra­ter­res­tri­sches Wesen auf. Hervor­ge­hoben durch einen Regen­bo­gen­nimbus oder abgeschirmt von der Außenwelt durch eine gigan­ti­sche Luftblase schwebt sie durch die Szenerie.

Auch in dem 1997 von der Künst­lerin ergänzend zu den vier Fotoar­beiten entwi­ckelten 3‑D-Video „Nirvana“ erscheint die Künst­lerin als schwe­bende Gottheit, die von sechs kleinen comic­ähn­li­chen Figuren begleitet wird. Moris Gesten, die sogenannten ‚Mudra‘, haben in der buddhis­ti­schen Kunst eine ganz spezi­fi­sche Bedeutung und charak­te­ri­sieren Götter­fi­guren und deren Aktivitäten.

Verschie­dene Elemente im Video wie beispiels­weise die kleinen Figuren, ein tränen­för­miger Kristall und Blüten­blätter scheinen aus dem Bild heraus zum Betrachter hinzu­schweben. Der spiri­tu­elle Aspekt der Arbeit wird so um eine physische Erfahrung bereichert.

Eine weitere wichtige Instal­la­tion der Ausstel­lung ist „Link of the Moon“ aus dem Jahr 1996. Die Arbeit besteht aus einem kreis­för­migen Raum, in welchem auf fünf Monitoren das Video „Miko No Inori“ (The Shaman-Girl’s Prayer) zu sehen ist. Das Video, gefilmt im hyper­mo­dernen Kansai-Flughafen in Japan, zeigt Mori – eine Kristall­kugel balan­cie­rend – in einem futuris­ti­schen Kostüm. Durch eine silber­far­bene Perücke und spezielle Kontakt­linsen wird Mori zu einem außer­ir­di­schen Wesen. Über Lautspre­cher ist ein von Mori gesun­genes Lied in einem Endlos-Loop zu hören, was den medita­tiven Charakter der Instal­la­tion noch verstärkt.

Die Ausstel­lung endet mit der Film- und Fotoar­beit „Kumano“, der jüngsten, 1998 entstan­denen Arbeit der Künst­lerin. Wie schon im „Esoteric Cosmos“ wird in dieser Arbeit Moris Hinwen­dung zu ‚natür­li­chen‘ Schau­plätzen deutlich. Sie führt den Betrachter in einen Heiligen Hain, in dessen Hinter­grund ein techno­ider Tempel zu sehen ist. Die Künst­lerin selbst begegnet uns als schemen­hafte Gottheit oder Pries­terin in der Nähe eines Wasser­falls, dem im shintois­ti­schen Glauben kultische Bedeutung zukommt.

In Mariko Moris Kunst vermi­schen sich Fernsehen, Comics, Magazine, neue Techno­lo­gien, Musik, Kunst und Mode. Ihre Bilder­welt ist Ausdruck einer idealis­ti­schen Perspek­tive auf die Zukunft, in welcher durch die wechsel­sei­tige Beein­flus­sung der Kulturen in Ost und West ein neues Bewusst­sein entstehen soll.

Katalog
Mariko Mori. Esoteric Cosmos
Texte von Dominic Molon und Gijs van Tuyl
30 x 24,5 cm, 83 S., 19 s/w und 22 farbige Abb.
Cantz Verlag, Ostfil­dern 1998
ISBN 3–89322-966–3
vergriffen