Avantgarderobe. Kunst und Mode im 20. Jahrhundert
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Die Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg untersucht die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Bildender Kunst und Mode seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit über 250 Werken aus den Bereichen der Malerei und der Grafik, des Modedesigns, der Fotografie, des Bühnenbilds, und der Film- und Videokunst wird die gegenseitige Inspiration, Vernetzung und Durchdringung der beiden schöpferischen Systeme analysiert und veranschaulicht.
Die Ausstellung setzt im Paris der Jahrhundertwende mit den Entwürfen des Modemachers Paul Poiret ein. Dieser stand in engem Kontakt zu den Malern Henri Matisse und Raoul Dufy und teilte ihren Enthusiasmus für die ‚orientalistischen‘ Farben und die Dekorationen des Ballet Russe, welches unter Serge Diaghilev in Paris Triumphe feierte. Raoul Dufy wurde von Poiret in den Schaffensprozess eingebunden und entwarf Stoffmuster für den Couturier. Auch die Einflüsse Gustav Klimts und des Omega Workshops in London sind augenfällig. Die Schau beginnt in einem Klima, das reformatorische, romantische und dekorative Ideen aufs Heftigste miteinander reagieren ließ. Die Arts-and-Crafts-Bewegung in England, der Jugendstil und die Wiener Werkstätten stehen für eine revolutionäre Formensprache, und die im Umfeld dieser Bewegungen entstandene Mode spiegelt den Wunsch einer gestalterischen Durchdringung des Alltags wider.
Während und nach dem Ende des 1. Weltkriegs wurden alle Bereiche des Lebens einer radikalen Modernisierung unterworfen. Die Lust an üppiger Dekoration und an Luxus wich der Funktionalität und den Erfordernissen der Massenproduktion. Die russischen Konstruktivisten und die italienischen Futuristen verschrieben sich der Aufgabe, neue Kleider für den neuen Menschen zu entwerfen.
Parallel zu den funktionalen Tendenzen in der Mode etablierte sich im Laufe der 30er-Jahre unter dem Einfluss der Surrealisten Salvador Dalí und Meret Oppenheim ein neuer fantastischer Modestil. Die exzentrische Couturière Elsa Schiaparelli begriff sich als Nachfolgerin des legendären Paul Poiret und band surreale Elemente in ihre Entwürfe ein. Den Extremitäten des Körpers – Kopf, Füße, Hände – widmete sie große Aufmerksamkeit und spielte mit den narzisstischen Konnotationen des Haares und dem Schuh als erotischem Fetisch. Fotografen wie Man Ray überbrückten die Unterschiede zwischen Designern und Künstlern und halfen mit ihren Arbeiten, die Ideen der Epoche klarer zu umreißen.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde New York zum Zentrum des Kunstgeschehens, die Haute Couture behauptete ihren Standort in Paris, und bis in die Sechzigerjahre hinein ist diese Trennung von Mode und Bildender Kunst auch eine inhaltlich-ideologische. Erst mit dem Aufkommen der Pop und Performance Art in den 60er-Jahren befassten sich Künstler und Modeschöpfer wieder parallel mit Fragen der ‚Verhüllung‘ und gingen aus dem Atelier auf die Straßen von New York, London und Paris. Künstler wie Christo und Lucio Fontana, Designer wie Mary Quant, Paco Rabanne und André Courrèges experimentierten mit Performance, Neuen Medien und setzten Materialien wie Papier, Plastik und Metall in ihren Entwürfen ein. Die in der Ausstellung gezeigten unterschiedlichen Versionen von Miniröcken und ‑kleidern machen die Unterscheidung schwer: Welcher Entwurf stammt von einem Modeschöpfer, welcher von einen Künstler?
Die Grenzen zwischen Kunstwerk und Bekleidung verschwimmen immer mehr. So erschien beispielsweise im Jahr 1982 auf dem Titel der amerikanischen Kunstzeitschrift Artforum eine Arbeit des japanischen Modeschöpfers Issey Miyake und damit ein Kleidungsobjekt, welches auch alle Kriterien herkömmlicher Kunstrezeption zu befriedigen schien.
Seit kurzem begegnen uns Designer wie Hussein Chalayan, Lun*na Mennoh, Martin Margiela und Rei Kawakubo immer öfter in einem reinen Kunstkontext. Künstler wiederum begreifen die Mode als ein Kommunikationsmittel und setzen sie als künstlerisches Medium ein. Anne Hamilton, Lesley Dill, Lucy Orta, Caroline Broadhead und Christine LoFaso haben Motive aus der Mode aufgenommen und benutzt, um den weiblichen Körper zu thematisieren und um sich mit Fragen der weiblichen Identität auseinanderzusetzen. Künstler, die die eigentlichen Grenzen des Kunstbetriebes überschreiten, scheinen fasziniert zu sein von der Möglichkeit der Designer, mit den Formen des menschlichen Körpers zu experimentieren.