Luc Tuymans

The Purge. Bilder 1991-1998

23. 10. 1999 — 30. 1. 2000

Infos

Die Ausstel­lung der Werke des belgi­schen Künstlers Luc Tuymans setzt die Reihe von Einzel- oder Gruppen­aus­stel­lungen zum Thema ‚Malerei‘ im Kunst­mu­seum Wolfsburg fort, die im vergan­genen Jahr mit Ausstel­lungen der Werke von René Daniëls und Elizabeth Peyton begonnen wurde. Gleich­zeitig stellt sie eine Künst­ler­per­sön­lich­keit vor, die in der Sammlung des Museums bereits mit drei Gemälden vertreten ist.

Die Ausstel­lung vereint 50 Gemälde des Künstlers aus den Jahren 1991 bis 1998. Innerhalb des ausge­wählten Konvoluts finden sich Werke aus den Serien „Der diagnos­ti­sche Blick“, 1992, „The Heritage“, 1996, „Der Architekt“, 1997, „Illegi­ti­mate“, 1997, und „Security“, 1998. Des Weiteren wurden Einzel­werke mitein­be­zogen, in welchen Tuymans Interi­eurs und vegeta­bile Formen unter­sucht und sich mit religiöser Motivik auseinandersetzt.

Immer wieder hat Tuymans den für eine bestimmte Präsen­ta­tion entstan­denen Bildse­rien Titel verliehen und die Bilder so in einen spezi­fi­schen Ausstel­lungs­kon­text gestellt. Jede Serie besteht dennoch aus autonomen Einzel­werken, die unabhängig vonein­ander gezeigt und zu anderen Bildern in Beziehung gesetzt werden können. Tuymans sagt zu diesem Präsen­ta­ti­ons­kon­zept: „Ich glaube, dass sich die Bilder zuerst verselbst­stän­digen müssen, aber gleich­zeitig soll der Rausch von einem Bild auf das andere übergreifen.“

Luc Tuymans nimmt die Erfahrung flüch­tiger Bilder aus Fotografie, Film und Fernsehen in seine Malerei auf, um sie in der nachhal­tigen Präsenz eines stati­schen, auf der Leinwand materia­li­sierten Bildes zu brechen. Zu Beginn der 80er-Jahre experi­men­tierte Tuymans verstärkt mit dem Medium Film und es schien, als wolle er sich gänzlich von der Malerei abwenden. Seine maleri­sche Abstinenz währte zwei Jahre und auch nach Wieder­auf­nahme der Malerei 1985 war das filmische Material wieder­holt Ausgangs­punkt für Gemälde. Die Wolfs­burger Ausstel­lung präsen­tiert einige Beispiele aus den Filmen des Künstlers in Form von Film-Stills.

Gijs van Tuyl sagt zur Malerei des Künstlers: „In einer Zeit, in der die Malerei im Schatten der Fotografie zu verschwinden droht, zeigt Tuymans, wie Bilder vor dem Hinter­grund der flimmernden Medien­land­schaft aus dem Nichts auftau­chen, schwei­gend aufleuchten und sich wieder in die Stille zurückziehen.“

Unter dem Titel „Der diagnos­ti­sche Blick“ präsen­tierte Luc Tuymans im Jahr 1992 eine Ausstel­lung in der Zeno X Galerie in Antwerpen. Sieben der insgesamt zehn Bilder der Serie sind Teil der Wolfs­burger Ausstellung.

Die Gemälde sind auf der Grundlage von Fotogra­fien eines medizi­ni­schen Handbu­ches gleichen Titels entstanden. Die im Lehrbuch abgebil­deten Fotos kranker Physio­gno­mien zeigen die körper­li­chen Symptome von Erkran­kungen und sollen ursprüng­lich durch Vergleich dem Arzt die Diagnose erleich­tern. Tuymans hat diese Abbil­dungen in porträt­haft oder abstrakt wirkende Bilder umgesetzt. Gegenüber der dokumen­ta­ri­schen Fotografie, welche die Krankheit explizit kenntlich machen will, nimmt die maleri­sche Umsetzung das Symptom zurück und relati­viert es.

In den Serien „The Heritage“, 1996, und „Security“, 1996, befasst sich Tuymans mit den Mythen und Symbolen der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft. Der Titel „The Heritage“ richtet sich gegen die ameri­ka­ni­sche Ideologie der Geschichts­lo­sig­keit und steht für den –vergeb­li­chen – Versuch einer Archäo­logie der ameri­ka­ni­schen Gesell­schaft. „Security“, 1998, hingegen verar­beitet den panischen Absiche­rungs­wahn und die Festungs­men­ta­lität der nur scheinbar multi­kul­tu­rellen Gesellschaft.

Zu der Serie „Der Architekt“ gab ein Telegramm Albert Speers an Himmler die Anregung, in welchem Speer berich­tete, dass den Inhaf­tierten in den Arbeits­la­gern zu viel Platz zur Verfügung stände. Nach Verfassen des Berichtes machte Speer mit seiner Frau einen Skiaus­flug. Laut Tuymans gab ihm dies die Idee für eine Ausstel­lung über Archi­tektur und Schnee. Über den histo­ri­schen Aspekt hinaus nimmt Tuymans Bezug auf eine ganz aktuelle Megalo­manie der Haupt­stadt Berlin, nach der Wieder­ver­ei­ni­gung aufs Neue Deutsch­lands wichtigste Stadt zu werden.

Die Serie „Illegi­ti­mate“ aus dem Jahr 1997 bezieht sich auf eine Äußerung der künst­le­ri­schen Leiterin der documenta X, Catherine David, die das Medium Malerei als ‚illegitim‘ diffa­mierte und damit selbst­ver­ständ­lich den Wider­spruch Tuymans heraufbeschwor.

Die Ausstel­lung wurde vom Kunst­mu­seum Wolfsburg in Zusam­men­ar­beit mit dem Bonne­fan­ten­mu­seum in Maastricht organi­siert und in enger Abstim­mung mit dem Künstler konzipiert.

Katalog
The Purge. Luc Tuymans. Schilderijen/Bilder/Paintings 1991–1998 [Katalog­zei­tung]
Hrsg. von Paula van den Bosch und Annelie Lütgens. Texte von Cornel Bierens, Dominic van den Boogerd, Annelie Lütgens, Hans Rudolf Reust, R. van Ruysse­velt, Marc Ruyters, Frank Vande Veire (dt./engl./niederländisch)
31 x 47 cm, 40 S., 14 s/w und 38 farbige Abb.
Maastricht und Wolfsburg 1999
vergriffen