Monumente der Melancholie. Update #6

1. 3. — 29. 6. 2003

Infos

Mit der Ausstel­lung „Gesam­melte Werke 1“, die einen Überblick über die Erwer­bungen 1993 bis 1999 zum Gegen­stand hatte, wurde die erste Phase des Sammlungs­auf­baus, das „Tuning Up“, abgeschlossen. Mit der Update-Reihe wurde seitdem das im Frühjahr 2000 begonnene Konzept für die Sammlungs­aus­stel­lungen fortge­setzt. Zusammen mit Leihgaben und „Werken der Wunsch­liste“ konzi­piert das Kunst­mu­seum seit diesem Zeitpunkt Ausstel­lungen auf der Grundlage des Sammlungs­be­standes zu ausge­wählten Themenbereichen.

Ausgehend von Christian Boltanskis umfas­sender Fotoin­stal­la­tion „Mensch­lich“, die drei Jahre nach ihrer Erstprä­sen­ta­tion 1999 den Nordsaal wieder komplett ausfüllen wird, handelt die Präsen­ta­tion „Monumente der Melan­cholie. Update #6“ von Menschen unter­schied­lichsten Alters, sozialer Herkunft und Natio­na­lität, von Tätern und Opfern. Hierzu gehören die Bilder, die der Belgier Luc Tuymans vor dem Hinter­grund des Holocaust entstehen ließ, Produk­tions- und Wohnstätten, die James Welling in seiner„Wolfsburg“-Serie in ein eigen­ar­tiges Licht gesetzt hat, die zunächst zufällig anmutende Begegnung zweier Passanten zu nächt­li­cher Stunde von Jeff Wall und die fotogra­fi­schen Porträts der Stadt Tokio und ihrer Bewohner, die Nobuyoshi Araki auf den Streif­zügen durch seine Heimat­stadt einge­fangen hat. Den Abschluss des Rundgangs bilden die in ihren unwirk­lich erschei­nenden Handlungs­zu­sam­men­hängen verstrickten Gestalten Neo Rauchs.

Die 1999 erworbene Raumin­stal­la­tion „Menschlich“des franzö­si­schen Künstlers Christian Boltanski war bislang im Kunst­mu­seum nur ein einziges Mal zu sehen. Die raumgrei­fende Arbeit vereinigt jene 1300 Porträt­fo­to­gra­fien, die der Künstler zwischen 1971 und 1994 in seinen Instal­la­tionen verwendet hat. Aus Klassen­fotos heraus vergrö­ßerte Porträts von Schülern eines jüdischen Gymna­siums in Wien aus dem Jahr 1931, aus Fotos einer spani­schen Krimi­nal­zeit­schrift sowie aus einem gefun­denen Fotoalbum hat Boltanski ein eindring­li­ches Werk des Erinnerns geschaffen, in welchem Täter und Opfer kaum mehr zu unter­scheiden sind.

Die Fotos des Ameri­ka­ners James Welling sind in den Jahren 1993 und 1994 als Auftrags­ar­beit für das Kunst­mu­seum Wolfsburg entstanden. Bei der Fotoserie, die Welling in dieser Zeit schuf, handelt es sich um eine Dokumen­ta­tion der Stadt Wolfsburg und des Produk­ti­ons­pro­zesses im Volks­wa­gen­werk. Mit wenigen Ausnahmen werden Werk und Stadt auf den Schwarz­weiß­fo­to­gra­fien ohne Menschen gezeigt. Vorwie­gend im Herbst, Winter und Frühjahr aufge­nommen, vermit­teln die Aufnahmen einen melan­cho­li­schen Blick auf den gemeinhin mit dynami­schen Prozessen verbun­denen Produktionsort.

Zu der Serie „Der Architekt“von Luc Tuymans gab ein Telegramm Albert Speers an Himmler die Anregung, in welchem Speer berich­tete, dass den Inhaf­tierten in den Arbeits­la­gern zu viel Platz zur Verfügung stände. Nach Verfassen des Berichtes machte Speer mit seiner Frau einen Skiaus­flug. Laut Tuymans gab ihm dies die Idee für eine Ausstel­lung über Archi­tektur und Schnee. Über den histo­ri­schen Aspekt hinaus, nimmt Tuymans Bezug auf eine ganz aktuelle Megalo­manie der Haupt­stadt Berlin, nach der Wieder­ver­ei­ni­gung aufs Neue Deutsch­lands wichtigste Stadt zu werden. Aus der Serie „Der Architekt“ sind die Werke „Himmler“(1997/98) und „Muur Witte“ (1997/98) vertreten, darüber hinaus zeigen wir „Recherches“(1997/98) und „Hair“ (2000).

Jeff Walls (geb. 1946) insze­nierte Schwarz­weiß­fo­to­grafie „Passerby“(1996) stellt eine nächt­liche Begegnung dar: Zwei Männer begegnen sich auf einer sonst unbelebten Straße, wovon sich der eine schemen­haft in den schwarzen Bildhin­ter­grund entfernt und der andere sich umschaut. Der Kontext dieser nächt­li­chen Begegnung bleibt unklar, jedoch scheint auch hier, impli­ziert durch das grell erleuch­tete Stopp­schild, Unheil zu drohen.

Die Aufnahmen Nobuyoshi Arakis entstammen der Fotoserie „Tokyo Novelle“ und zeigen Arakis Lebens­welt in Tokio: Details aus dem städti­schen Umfeld stellt Araki neben weibliche Akte und Still­leben und lässt so das Bild einer Stadt entstehen, die zwischen Tradition und Moderne oszil­liert. Die Stadt als gesichts­loser Moloch ist der Hinter­grund für Arakis obsessive Aktdar­stel­lungen, die insbe­son­dere durch die Fesse­lungen, die auf histo­ri­sche Vorbilder der Edo-Periode (1613–1868) verweisen, den westli­chen Betrachter verstören.

Der 1960 in Leipzig geborene Neo Rauch schöpft aus dem Bilder­schatz früherer Zeiten. Anklänge an den Realismus in seiner sozia­lis­ti­schen Variante – sowohl aus hoher Kunst wie auch aus der werbli­chen Grafik – sind unüber­sehbar. Den Betrachter erinnern die freund­li­chen, roboter­haft agierenden Figuren jedoch gleicher­maßen an Vorbilder aus der ameri­ka­ni­schen Werbe­branche der 50er- und 60er-Jahre. Rauch nutzt das Reper­toire der unbewussten und damit latenten Zeichen­sprache ganz ohne Attitüde, um neue rätsel­hafte Szenerien zu konstruieren.

Künstler: Nobuyoshi Araki, Christian Boltanski, Neo Rauch, Luc Tuymans, Jeff Wall, James Welling