Avantgarderobe. Kunst und Mode im 20. Jahrhundert

6. 3. — 6. 6. 1999

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Die Ausstel­lung im Kunst­mu­seum Wolfsburg unter­sucht die vielfäl­tigen Wechsel­be­zie­hungen zwischen Bildender Kunst und Mode seit Beginn des 20. Jahrhun­derts. Mit über 250 Werken aus den Bereichen der Malerei und der Grafik, des Modede­signs, der Fotografie, des Bühnen­bilds, und der Film- und Video­kunst wird die gegen­sei­tige Inspi­ra­tion, Vernet­zung und Durch­drin­gung der beiden schöp­fe­ri­schen Systeme analy­siert und veranschaulicht.

Die Ausstel­lung setzt im Paris der Jahrhun­dert­wende mit den Entwürfen des Modema­chers Paul Poiret ein. Dieser stand in engem Kontakt zu den Malern Henri Matisse und Raoul Dufy und teilte ihren Enthu­si­asmus für die ‚orien­ta­lis­ti­schen‘ Farben und die Dekora­tionen des Ballet Russe, welches unter Serge Diaghilev in Paris Triumphe feierte. Raoul Dufy wurde von Poiret in den Schaf­fens­pro­zess einge­bunden und entwarf Stoff­muster für den Couturier. Auch die Einflüsse Gustav Klimts und des Omega Workshops in London sind augen­fällig. Die Schau beginnt in einem Klima, das refor­ma­to­ri­sche, roman­ti­sche und dekora­tive Ideen aufs Heftigste mitein­ander reagieren ließ. Die Arts-and-Crafts-Bewegung in England, der Jugend­stil und die Wiener Werkstätten stehen für eine revolu­tio­näre Formen­sprache, und die im Umfeld dieser Bewegungen entstan­dene Mode spiegelt den Wunsch einer gestal­te­ri­schen Durch­drin­gung des Alltags wider.

Während und nach dem Ende des 1. Weltkriegs wurden alle Bereiche des Lebens einer radikalen Moder­ni­sie­rung unter­worfen. Die Lust an üppiger Dekora­tion und an Luxus wich der Funktio­na­lität und den Erfor­der­nissen der Massen­pro­duk­tion. Die russi­schen Konstruk­ti­visten und die italie­ni­schen Futuristen verschrieben sich der Aufgabe, neue Kleider für den neuen Menschen zu entwerfen.

Parallel zu den funktio­nalen Tendenzen in der Mode etablierte sich im Laufe der 30er-Jahre unter dem Einfluss der Surrea­listen Salvador Dalí und Meret Oppenheim ein neuer fantas­ti­scher Modestil. Die exzen­tri­sche Couturière Elsa Schia­pa­relli begriff sich als Nachfol­gerin des legen­dären Paul Poiret und band surreale Elemente in ihre Entwürfe ein. Den Extre­mi­täten des Körpers – Kopf, Füße, Hände – widmete sie große Aufmerk­sam­keit und spielte mit den narziss­ti­schen Konno­ta­tionen des Haares und dem Schuh als eroti­schem Fetisch. Fotografen wie Man Ray überbrückten die Unter­schiede zwischen Designern und Künstlern und halfen mit ihren Arbeiten, die Ideen der Epoche klarer zu umreißen.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde New York zum Zentrum des Kunst­ge­sche­hens, die Haute Couture behaup­tete ihren Standort in Paris, und bis in die Sechzi­ger­jahre hinein ist diese Trennung von Mode und Bildender Kunst auch eine inhalt­lich-ideolo­gi­sche. Erst mit dem Aufkommen der Pop und Perfor­mance Art in den 60er-Jahren befassten sich Künstler und Modeschöpfer wieder parallel mit Fragen der ‚Verhül­lung‘ und gingen aus dem Atelier auf die Straßen von New York, London und Paris. Künstler wie Christo und Lucio Fontana, Designer wie Mary Quant, Paco Rabanne und André Courrèges experi­men­tierten mit Perfor­mance, Neuen Medien und setzten Materia­lien wie Papier, Plastik und Metall in ihren Entwürfen ein. Die in der Ausstel­lung gezeigten unter­schied­li­chen Versionen von Minirö­cken und ‑kleidern machen die Unter­schei­dung schwer: Welcher Entwurf stammt von einem Modeschöpfer, welcher von einen Künstler?

Die Grenzen zwischen Kunstwerk und Beklei­dung verschwimmen immer mehr. So erschien beispiels­weise im Jahr 1982 auf dem Titel der ameri­ka­ni­schen Kunst­zeit­schrift Artforum eine Arbeit des japani­schen Modeschöp­fers Issey Miyake und damit ein Kleidungs­ob­jekt, welches auch alle Kriterien herkömm­li­cher Kunst­re­zep­tion zu befrie­digen schien.

Seit kurzem begegnen uns Designer wie Hussein Chalayan, Lun*na Mennoh, Martin Margiela und Rei Kawakubo immer öfter in einem reinen Kunst­kon­text. Künstler wiederum begreifen die Mode als ein Kommu­ni­ka­ti­ons­mittel und setzen sie als künst­le­ri­sches Medium ein. Anne Hamilton, Lesley Dill, Lucy Orta, Caroline Broadhead und Christine LoFaso haben Motive aus der Mode aufge­nommen und benutzt, um den weibli­chen Körper zu thema­ti­sieren und um sich mit Fragen der weibli­chen Identität ausein­an­der­zu­setzen. Künstler, die die eigent­li­chen Grenzen des Kunst­be­triebes überschreiten, scheinen faszi­niert zu sein von der Möglich­keit der Designer, mit den Formen des mensch­li­chen Körpers zu experimentieren.