Brasilianische Fotografie 1946-1998
Infos
Das Kunstmuseum Wolfsburg hat in den fünf Jahren seines Bestehens immer wieder das Medium Fotografie in Einzelausstellungen von Künstlern gewürdigt. Thematisch erfolgte bei der Italienischen Metamorphose (1995), Full House (1996) und Sunshine & Noir (1997) eine Konzentration auf ein Land oder einen hinsichtlich seiner künstlerischen Position besonders relevanten Ort. Die Ausstellung „Brasilianische Fotografie 1946–1998“ kombiniert beide Ansätze und untersucht nicht nur das Medium und die ästhetischen Grundsätze der Künstler, sondern sie vermittelt auch das Bild eines Landes, welches aus europäischer Sicht noch als Terra Incognita gelten muss. Im Rahmen der documenta X wurde das Werk der brasilianischen Künstler Lygia Clark und Helio Oiticica einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt und das Haus der Kulturen der Welt in Berlin widmete sich 1998 unter dem Titel „Der brasilianische Blick“ ausführlich der Gegenwartskunst des Landes.
In Wolfsburg werden 160 Arbeiten von 31 Fotografen aus dem Zeitraum 1946 bis 1998 gezeigt. Ausgewählt wurden die Künstler und deren Arbeiten durch Rubens Fernandes Junior, dem Direktor der Fakultät für Kommunikationswissenschaften an der Fundacão Armando Alvares Penteado in São Paulo, einem profunden Kenner der brasilianischen Fotokunst.
Obgleich die Ausstellung eine Vielzahl von Werken und Künstlern vereint, so soll mithin nicht der Anspruch erhoben werden, einen erschöpfenden Überblick über das Thema zu bieten. Vielmehr versucht das Ausstellungsprojekt, das Spektrum der brasilianischen Fotografie darzustellen, welches von der Dokumentation bis zum Experiment und von der klassischen bis zur innovativsten Arbeit reicht.
Der ausgewählte Zeitraum der Jahre 1946 bis 1998 steht für eine Epoche, in welcher die brasilianische Fotografie intensiv auf den kontinuierlichen Wandel der Gesellschaft reagiert hat. Insgesamt vier Generationen von Fotografen zeigen, wie sehr die Fotografie zur Gestaltung einer starken visuellen Identität des Landes beigetragen hat.
In den 40er- und 50er-Jahren haben mit unterschiedlichen Ansätzen Geraldo de Barros, Thomaz Farkas, José Medeiros und Pierre Verger in der Dokumentar- wie in der experimentellen Fotografie die wichtige Epoche der Identitätsfindung der brasilianischen Nation nach dem 2. Weltkrieg begleitet.
Aus den 60er- und 70er-Jahren sind Maureen Bisilliat, Walter Firmo und Luis Humberto zu nennen, die, ausgehend von der spezifischen regionalen Volkskultur, die Fotografie als unabhängiges Informationsmittel einsetzten und über ihre Bildinhalte die nationalen Identitäten herausarbeiteten.
In den 80er-Jahren verhalfen Juca Martins, Nair Benedicto, Mario Cravo Neto, Antonio Saggese, Miguel Rio Branco, Araquém Alcântara, Pedro Vasquez, Marcos Santilli, Kenji Ota, Luiz Carlos Felizardo, Sebastião Salgado, Christiano Mascaro, Arnaldo Pappalardo und Carlos Fadon Vicente mit politisch unabhängigem Bildjournalismus und einer Neufassung des Brasilien-Bildes der brasilianischen Fotografie zu internationalem Ansehen.
In den 90er-Jahren sind es Ed Viggiani, Rubens Mano, Elza Lima, Cássio Vasconcellos, Luiz Braga, Celso Oliveira, Valdir Cruz, Gal Oppido, Tiago Santana und Eustáquio Neves, die der zeitgenössischen Fotografie durch eine expressive dokumentarische Form und ihre Experimentierlust neue Impulse gaben.
Diese vier Generationen umfassende Schau beschäftigt sich mit der unterschiedlichen Wahrnehmung der Ethnien, dem modernen Bildjournalismus, der Bildsprache der Fotografie, der postkolonialen Vision einer neuen Nation, den Lebensräumen einer wirtschaftlich als Schwellenland beschriebenen Nation. Gleichwohl wird das im Ausland gängige Bild eines grandiosen, leichtlebigen Landes zwischen Exotismus und Erotismus nicht untermauert, sondern vielmehr das Wechselspiel einer aus Harmonie und Dissonanz herausgebildeten Identität analysiert.
Künstler: Araquém Alcântara, Geraldo de Barros, Maureen Bisilliat, Luiz Braga, Mario Cravo Neto, Valdir Cruz, Carlos Fadon Vicente, Thomaz Farkas, Luiz Carlos Felizardo, Walter Firmo, Luis Humberto, Elza Lima, Rubens Mano, Juca Martins, Christiano Mascaro, José Medeiros, Benedicto Nair, Eustáquio Neves, Celso Oliveira, Gal Oppido, Kenji Ota, Arnaldo Pappalardo, Miguel Rio Branco, Antonio Saggese, Sebastião Salgado, Tiago Santana, Marcos Santilli, Cássio Vasconcellos, Pedro Vasquez, Pierre Verger, Ed Viggiani
Katalog
Brasilianische Fotografie 1946–1998. Labirinto e Identidades
Text von Rubens Fernandes
20 x 25 cm, 202 S., 76 s/w und 48 farbige Abb.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 1999
ISBN 3–7757-0860‑X
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