Freundschaften
Gemeinschaftswerke von Dada bis heute
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In kaum einer Zeit waren die Ideen vom gemeinsamen Arbeiten im Team sowie vom Bündeln verschiedener Kompetenzen so populär wie in der Gegenwart. Lange bevor sich Künstler*innen zu permanent zusammenarbeitenden Duos oder Kollektiven gruppierten, entstanden schon im 20. Jahrhundert aus den unterschiedlichsten persönlichen, kunst- und zeithistorischen Hintergründen gemeinschaftlich realisierte Kunstwerke. Die Ausstellung Freundschaften. Gemeinschaftswerke von Dada bis heute präsentiert eine Auswahl an faszinierenden Werken aus Literatur, Musik, Malerei, Skulptur, Zeichnung, Film und Video, die von flüchtigen Bekannten, engen Vertrauten, Freundinnen, Liebespaaren oder auch von Konkurrent*innen gemeinsam geschaffen wurden.
Insbesondere in der Rückschau lassen sich das kollegiale Miteinander und die Entstehungsgeschichte eines Kunstwerkes leicht idealisieren. Dabei förderte nicht nur das gegenseitig inspirierende und oft auch vergnügliche Zusammenarbeiten, sondern auch der (Wett-)Streit unter Freund*innen die progressivsten Ideen sowie neuen künstlerischen Methoden zutage. Das Ausfechten von Disputen und komplexe amouröse Beziehungen begleiteten auch jenen Prozess, der zur vielleicht wichtigsten Entdeckung der Surrealisten führte, den sogenannten Cadavres exquis. Die Faltzeichnungen gingen aus einem von Zufall und Improvisation geprägten Spiel hervor und stellten durch ihre geteilte Autorschaft ganz grundsätzlich das Ideal des individuellen künstlerischen Ausdrucks infrage. Freundschaften präsentiert eine beeindruckende Auswahl der Cadavres exquis, etwa von André Breton, Yves Tanguy u. a. oder von Nusch Éluard und Paul Éluard.
Kollaborative Werke entstanden aber nicht nur im Bereich der „klassischen“ Medien, sondern auch im Bereich der Filmkunst kam es immer wieder zu äußerst produktiven Gemeinschaftsarbeiten, wie das surrealistische Meisterwerk Un chien andalou von Salvador Dalí und Luis Buñuel eindrucksvoll belegt.
Politische oder soziale Ereignisse und Überzeugungen gaben häufig den Ausschlag dafür, dass sich Künstler*innen entweder spontan oder als koordinierte Aktion zusammenfanden, um auf diese Anlässe zur reagieren. In Mailand veranlasste die 1960 publik gewordene Gruppenvergewaltigung einer algerischen Freiheitskämpferin durch französische Soldaten sechs Künstler dazu, ihrem Protest durch das gemeinsam geschaffene Monumentalgemälde Grand tableau antifasciste collectif Ausdruck zu verleihen.
Zur gleichen Zeit attackierten in Deutschland Georg Baselitz und Eugen Schönebeck die gesellschaftlichen Konventionen, indem sie innerhalb ihrer beiden Pandämonischen Manifeste alles, was als hässlich, obszön und blasphemisch empfunden wurde, zu neuen Themen der künftigen Malerei erklärten.
Die sogenannten Neuen Wilden, zu denen u. a. Martin Kippenberger, Werner Büttner und Albert Oehlen gehörten, versicherten sich Anfang der 1980er-Jahre durch das kollaborative Schaffen ihrer gemeinsamen Antihaltung gegenüber der Welt und der etablierten Kunstszene und schufen provokante Werke, die zwischen Größenwahn und Selbstzweifeln oszillierten.
Auch jenseits des Atlantiks kam es zum gemeinsamen Erschaffen von Kunstwerken, wie Untitled (Don’t Shoot Civilians) von Jenny Holzer und Lady Pink demonstriert: Aus der Kombination von Jenny Holzers typografischem Statement und den „Malereien“ der Graffitikünstlerin Lady Pink geht ein wirkungsmächtiges Bild hervor, welches auf die chaotischen politischen Zustände und die Gewaltexzesse des nicaraguanischen Bürgerkriegs verweist und zugleich eine Mahnung zur friedlichen Auseinandersetzung darstellt.
Die 1985 gegründeten und bis heute anonym agierenden Guerrilla Girls verbünden sich in immer wieder wechselnden Konstellationen, um aus einer feministischen Perspektive den Macho-Imperialismus zu demontieren und mit aktivistischen Mitteln für die Gleichberechtigung von Frauen im Kunstbetrieb einzutreten.
Das transnationale Ausstellungs- und Publikationsprojekt Freundschaften zeigt ein breites Spektrum von Beispielen gemeinschaftlich geschaffener Kunstwerke aus unterschiedlichsten Gattungen und erörtert, welche Art von Ereignissen für die Produktion der gezeigten Werke von zentraler Relevanz war. Die Ausstellung belegt eindrucksvoll, dass das Arbeiten in künstlerischen Netzwerken, sei es im Duo oder im größeren Kollektiv, keineswegs ein neues Phänomen der Gegenwart ist, sondern in einer langen kulturgeschichtlichen Tradition steht.
Angesichts einer von Krisen und Unsicherheiten geprägten Zeit, die auch die Kunstwelt miteinschließt und umtreibt, erscheint es notwendig, die Aufmerksamkeit erneut auf die künstlerischen Experimente des 20. und 21. Jahrhunderts zu richten, um somit die Potenziale von kreativen und kollaborativen Prozessen insgesamt neu auszuloten und die Möglichkeiten der Übertragung von Synergieeffekten auf die Gesellschaft zu untersuchen.
Das in Kooperation mit dem Mucem – Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers in Marseille – entwickelte Ausstellungsprojekt ist gewissermaßen selbst Ausdruck einer freundschaftlichen Zusammenarbeit der Kuratorin Blandine Chavanne mit dem Künstler Jean-Jacques Lebel als wissenschaftlichem Beirat. Die Länder der beiden Partnerinstitutionen, Frankreich und Deutschland, verbinden ebenfalls enge freundschaftliche Bande.
Begleitend zur Ausstellung ist eine umfangreich illustrierte Publikation im Hatje Cantz Verlag erschienen (herausgegeben von Blandine Chavanne und Jean-Jacques Lebel mit Andreas Beitin und Jean François Chougnet), die Essays, ausführliche Werktexte und Interviews namhafter Autor*innen enthält, um die Geschichte und Hintergründe der gemeinschaftlich entstandenen Kunstwerke darzustellen (dt. und frz. Ausgabe, jeweils 304 Seiten, ca. 400 Abb., 42 Euro im Shop des Kunstmuseum Wolfsburg).
Kuratorin
Blandine Chavanne
Wissenschaftlicher Beirat
Jean-Jacques Lebel
Publikation
Magazin
Volkswagen Group Art4All im August mit Konzert und Performance
Für 10 Euro in drei Museen: Anselm-Kiefer-Woche in Niedersachsen vom 12. bis 20. August 2023
Zwei Tickets zum Preis von einem: Woche der Freundschaft ab 30.7.23
Volkswagen Group Art4All im Juli mit Sommer-Party
Review: Volkswagen Group Art4All mit Mondrian Look Contest
Volkswagen Group Art4All im Juni: Look like a Mondrian
PREVIEW: Kollaborativer Graffiti-Workshop mit Young Generation, SPRENGEL Young Circle und Urban-Art-Künstler KAYMAN
Review: Volkswagen Group Art4All mit Sven Elverfeld
Eröffnung: Freundschaften. Gemeinschaftswerke von Dada bis heute
„Diese fesselnde, kluge und hintergründige Ausstellung, die im Grunde ja selbst ein Kunstwerk ist, lädt definitiv zum Wiederkommen und nochmal anschauen ein.“
Braunschweiger Spiegel, Martin Brandes, 19. Mai 2023
„Freundschaften präsentiert eine beeindruckende Auswahl der Cadavres exquis, etwa von André Breton, Yves Tanguy oder von Nusch Éluard und Paul Éluard.“
Der Spiegel, 20. Mai 2023
„Die Ausstellung Freundschaften. Gemeinschaftswerke von Dada bis heute im Kunstmuseum Wolfsburg zeigt bis zum 24. September, dass Kunstproduktion oft alles andere als ein einsamer Vorgang ist.“
NDR kultur, Janek Wiechers, 15. Mai 2023
„Wenn Freunde gemeinsam künstlerisch wirken, entsteht etwas, dass auch für andere sichtbar wird.“
Deutschlandfunk Kultur, Fazit, 9. Mai 2023
„Eine Hommage an die Zusammenarbeit sind die rund 100 ausgestellten Werke – manche wurden von befreundeten Künstlern erschaffen, andere von Konkurrenten oder Liebesaffären.“
Myself, Juni Ausgabe
Die Ausstellung findet in Kooperation mit
dem Mucem in Marseille statt.
Mit freundlicher Unterstützung von
Medienpartner