Gilbert & George
Shitty naked human world
Infos
Gilbert Proesch wurde 1943 in den italienischen Dolomiten geboren. Er studierte an den österreichischen Kunsthochschulen Wolkenstein und Hallein und an der Akademie der Kunst in München. George Pasmore, geboren 1942 in Totnes, Devon, England, studierte am Dartington Adult Education Centure, Devon, am Dartington Hall College of Art und an der Oxford School of Art. Die beiden lernten sich 1967 als Studenten der St. Martin’s School of Art in London kennen. Seit 1968 leben und arbeiten sie zusammen in London. 1986 geannen sie den renommierten Turner Prize der Londoner Tate Gallery.
Die Kunst von Gilbert & George, an der sie selbst als lebendige Wesen partizipieren, ist einzigartig. In den späten 60er und den frühen 70er Jahren stellten sie sich selbst als Kunstwerke dar. In ihren Performances ‘The Singing Sculpture’ und ‘The Living Sculpture’ sangen sie stundenlang die gleiche Melodie und führten die gleichen Bewegungen aus, bis das Lied selbst völlig abgestumpft und bedeutungslos klang und der Zuschauer allein die ‘Skulpturen’ (Gilbert & George, in ihren grauen Anzügen mit silbern bemalten Händen und Gesichters) wahrnahm.
“To be with art is all we ask”, “Alles, was wir wollen ist, mit Kunst zusammen zu sein” erklärten sie. Ihr Ziel war es, zu Künstlern ihrer Zeit, zu Künstlern der Gegenwart zu werden. Sie wollten eine Sprache schaffen, die diese Zeit wiedergibt. Sie waren nicht länger bereit, ihre Schwächen, ihre sexuellen Vorlieben, ihre Gedanken, ihre Leiden und alles, was zum Menschsein dazugehört, zu verstecken. Sie ziehen in das Arbeiterviertel Spitalfields, wo sie die meisten Motive für ihre Arbeiten finden, nennen ihr Haus “Art for All” (“Kunst für Alle”) und tragen täglich identische Tweedanzüge in gedeckten Farben, die ihnen eine gewisse Seriosität verleihen.
Die erste schwarzweiße Fotoarbeit machten Gilbert & George 1971. Es waren einzelne Fotos, die an der Wand hingen und zusammen eine Art Assemblage bildeten. 1974 wurde erstmals eine rote Kolorierung verwendet, um den expressiven Ausdruck der Arbeiten zu unterstreichen.
Die 1976 und 1977 entstandenen Serien ‘Mental, Dirty Words und Red Morning’ waren ganz offenkundig politisch und galten sowohl als moralischer Kommentar als auch als neutrale Reportage. Die Bilder handeln von Vernachlässigung, Macht und Unterdrückung, Religion und von kulturellen und urbanem Verfall. Formal sind hier die einzelnen Fotos dicht aneinandergerückt, dennoch gibt jedes ein autonomes Bild wieder. Ab 1980 verschmilzt die Arbeit zu (meist) einem Bildinhalt, den die Rahmen der einzelnen Segmente wie ein Gitter zusammenhalten.
Seit 1981 und 1982 werden lebendige Farben zur Kolorierung der Fotoarbeiten benutzt, die den narrativen Cartoon-Stil und explizit sexuelle Themen betonen. Persönliche Ängste und Anliegen, wie in den Serien ‘Modern Fears und Modern Faith’ ersetzen nun übergeordnete soziale Inhalte. Diese Arbeiten entwickelten sich zu langen, oftmals großformatigen Friesen; die Fotos der Künstler, Seite an Seite mit jungen Männern, zeigen pseudo-familiäre Darstellungen mit klischeehaften Gesten.
1986 greifen Gilbert & George mit dem über 25 m langen Triptychon ‘Class War, Militant, Gateway’ noch einmal ein politisches Thema auf: den Klassenkampf, der hier von Jugendlichen verschiedenster Rassen gemeinsam geführt wird. Ihr politisches Statement lautet: “We are not here to congratulate society to how it is. We want to see change. Improvement and advancement”. “Wir sind nicht dazu da, um der Gesellschaft dafür zu gratulieren wie sie ist. Wir wollen Veränderungen sehen. Verbesserungen und Fortschritt.”
1989 entsteht die große Serie ‘The Cosmological Pictures’. Hier sind Jugendliche in den Mittelpunkt gerückt, wie Gilbert & George sie in ihrer Umgebung wahrnehmen. Teenager in modischer Kleidung und mit schicken Haarschnitten, scheinbar selbstbewusst und doch ratlos. 1990 wird in Moskau einie umfangreiche Werkschau von Gilbert & George gezeigt. In den ‘New Democratic Pictures’ von 1991 stellen sich die Künstler allein oder mit männlichen Modellen dar; alle (die jungen Männer, aber auch Gilbert & George) wirken hilflos auf der Suche nach einer Überlebensmöglichkeit in einer immer bedrohlich werdenden Umwelt. 1992 produzieren Gilbert & George eine Reihe von Arbeiten, die 1993 nach Peking und Shanghai reisen. Damit gehören sie zu den ersten zeitgenössischen Künstlern der westlichen Welt, die in China ausgestellt werden.
Seit Januar diesen Jahres haben Gilbert & George an einer neuen Serie gearbeitet, die erst vor kurzem fertiggestellt wurde. Das Ergebnis bezeichnen sie als “die emotional bewegendsten Bilder, die sie je gemacht haben”. Schon in früheren Werken sind menschliche Ausscheidungen thematisiert worden, jetzt rücken geformte Exkremente ins Blickfeld. Gilbert & George selbst drücken mit der Darstellung ihrer bildgreifenden nackten Körper ein Spektrum menschlicher Gefühle wie Zuneigung, Anlehnungsbedürfnis, Unterwerfung und Furcht aus, wie sie es nie zuvor offenbart haben. Ein großer Teil dieser Arbeiten wird nun im Kunstmuseum Wolfsburg zum allersten Mal präsentiert.
Obwohl die Ausstellung nicht als Retrospektive angelegt ist, wird sie einen Überblick über die künstlerische Entwicklung von Gilbert & George seit 1977 geben. In der großen Halle des Kunstmuseum Wolfsburg weren ca. 50 Arbeiten, die bis zu 5 x 11 m groß sind, in mehreren Reihen übereinianderhängend. In einem Filmprogramm gibt es dokumentarische Aufnahme der Performances, eine Reportage über Gilbert & George, sowie den Künstlerfilm “The World of Gilbert & George” zu sehen. Gilbert & George stoßen mit ihrer Kunst immer wieder an die Grenzen des schlechten Geschmacks und der Pornographie vor und verstoßen in ihrer Kunst ganz bewusst gegen gesellschaftliche Konventionen, damit haben sie eine andauernde kontroverse Diskussion hervorgerufen.
Über sich selbst sagen sie: “We are: Unhealthy, middle-aged, dirty-minded, depressed, cynical, empty, tired-brained, seedy, rotten, dreaming, badly behaved, ill-mannered, arrogant, intellectual, self-pitying, honest, successful, hard-working, thoughtful, artistic, religious, fascistic, blood-thirsty, teasing, destructive, ambitious, colourful, damned, stubborn, perverted and good. We are artists”. “Wir sind: Kränklich, mittelalt, voll von unanständigen Gedanken, deprimiert, zynisch, leer, gehirnmüde, heruntergekommen, verdorben, verträumt, von schlechtem Benehmen, ungehobelt, arrogant, intellektuell, voller Selbstmitleid, rechtschaffen, erfolgreich, hartarbeitend, nachdenklich, künstlerisch, religiös, faschistisch, blutrünstig, Quälgeister, destruktiv, ehrgeizig, lebhaft, stur, pervers und gut. Wir sind Künstler.”