Italienische Metamorphose 1943-1968
Kunst – Kunsthandwerk – Fotografie – Film – Mode – Architektur – Design
Infos
Diese multidisziplinäre Ausstellung befasst sich mit der Blütezeit der italienischen Kreativität in den fünfundzwanzig Jahren nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes 1943.
Nach dem Krieg erholte sich Italien nur mühsam von den Verwüstungen der Faschisten-Herrschaft, der Besetzung durch die Deutschen und den Aliierten und den Bombenangriffen. In den Nachkriegsjahren wurde unzählige Aspekte der Gesellschaft einer Prüfung unterzogen und transformiert – angefangen von der politischen Struktur bis hin zum Stil des Bauens. In ökonomischer Hinsicht war der Wiederaufbau ein Erfolg.
Währen der heute als “italienisches Wunder” bezeichneten Periode, die zwischen 1958 und 1963 ihren Höhepunkt erreichte, veränderte der soziale und ökonomische Wandel die Gesellschaft von Grund auf. Italien schwang sich zu einer international führenden Kulturnation auf, und das Design und der Stil des Landes galten schon bald als der Inbegriff der Qualität und des Erfindungsreichtums. 1968, dem letzten in der Ausstellung behandelten Jahr, stellten viele junge Italiener den übertriebenen Konsum in Frage und forderten die Erfüllung bis dahin nicht eingehaltener Reformversprechen. Studentenproteste und Arbeiterstreiks brachen aus und spalteten die Nation.
Malerei und Skulptur
Die durch das Trauma des Zweiten Weltkrieges gezeichneten italienischen Künstler machten sich daran in scharfer Abkehr vom pseudoklassizistischen, figurativen Stil des faschistischen Regimes, eine von demokratischen Werten inspirierte Kunst zu kreieren. Freilich kam es in den Kreisen der politisch links stehenden Künstler schon bald zu einer Kontroverse. Die Kommunistische Partei Italiens verlangte nämlich 1948 nach einer “neuen” figurativen Kunst, weil sich anders die politische Botschaft der Partei nicht vermitteln lasse. Während Renato Guttuso sich diesen Standpunkt zu eigen machte, lösten Giulio Turcato und Emilio Vedova ihre Kompositionen in abstrakte Spannungsfelder auf. Auf diese Weise schlug die abstrakte Kunst Wurzeln und avancierte im Italien der fünfziger Jahre zu der vorherrschenden progressiven Kunstrichtung.
Etliche der ausschlaggebenden abstrakten Künstler brachen zudem mit der Vorstellung einer politisch motivierten Kunst. Die Kunstschöpfung galt ihnen als ein existentielles privates Geschehen. So perforierte etwa Lucio Fontana seine Leinwände zunächst und zerriss sie in den späten fünfziger Jahren sogar, um die flache Bildebene in den dreidimensionalen Raum zu erweitern. Er propagierte seine Theorie des ‘Spazialismo’, einer vierdimensionalen Kunst, die – in diversen Medien – Farbe, Form und Raum mit Klang, Bewegung und Zeit integrieren sollte.
Sein Zeitgenosse Alberto Burri ging daran, anti-illusionistische Arbeiten herzustellen, für die er scheinbar unexpressive Materialien wie Teer, Bimsstein und Sackleinen verwendete. Die Kunst von Burri und Fontana, Afro, Giuseppe Capogrossi, Ettore Colla, Vedova und anderer firmierte in Italien unter dem Namen ‘Arte Informale’. Die Exponenten dieser Richtung waren nicht etwa einem einheitlichen Stil verpflichtet, gemeinsam war ihnen lediglich ihr Interesse an formalen Gesichtspunkten und eine durch Gesten erhellte abstrakte Syntax.
Etliche Künstler wandten sich der Monochromie zu, um auf diesem Weg das Kunstwerk als autonomes Gebilde zu erkunden. Die gestischen und existentiellen Fragestellungen der ‘Arte Informale’ lehnten sie ab. Enrico Castellani, Piero Dorazio, Francesco Lo Savio und Piero Manzoni waren allesamt Vertreter eines kühlen, rationalen Stils.
Ende der fünfziger Jahre setzten sich italienische Künstler mit Neo-Dada- und Pop-art-Konzepten auseinander und machten aus antiästhetischen Materialien – etwa verbranntem Plastik oder sogar Exkrementen – hohe Kunst. Manzoni verwandelte den Körper eines Künstlers in ein Kunstobjekt, indem er seine eigenen Körperausscheidungen wie Massenprodukte verpackte und signierte. In den sechziger Jahren beschäftigten sich die Künstler dann auch mit konzeptuellen Reflektionen über das Wesen und die Funktion von Kunstobjekten. Jannis Kounellis fing an, Wörter auf Leinwand zu malen, um herauszufinden, wie Bilder eigentlich wahrgenommen werden. Seine sprachlichen Benennungen sind sichtbare Zeichen: sie stehen für unfassbare Konzepte, die keine expliziten bildhaften Entsprechungen haben.Und ein Künstler wie Pino Pascali schuf aus irgendwelchen Fundstücken Repliken militärischer Waffen – nicht funktionstüchtige Geräte, mit denen er ironisch gegen den exkalierenden Vietnamkrieg protestierte.
Die ‘Arte Povera’ (“arme Kunst”) bildet den letzten Teil der Malerei- und Skulpturen-Sektion der Ausstellung. Viele dieser Arbeiten sind – angetrieben von dem antielitären Impuls, die Schranken zwischen Kunst und Leben niederzureißen – aus bescheidenen Materialien gefertigt. Künstler wie Giovanni Anselmo, Pier Paolo Calzolari, Kounellis, Mario Merz, Marisa Merz, Giuseppe Penone und Gilberto Zorio kombinierten natürliche und industriell gefertigten Substanzen miteinander, um die Dynamik des Wandels und des Wachstums zu erforschen.
Glas und Keramik
Die Glas- und Keramikherstellung, zwei alte Gewerbe mit langer Tradition in Italien, wurde in den Nachkriegsjahren wederbelebt. Auf der Basis traditioneller Techniken der Glasherstellung entwickelten Paolo Venini und andere ein ganz neues Design. Die Elastizität und leichte Handhabbarkeit des Tons zog auch etliche Künstler an, die die Keramik als skulpturales Medium entdeckten. So schuf etwa Fontana Concetto-spazial- (Raumkonzept-)Vasen, die ähnlich we seine Leinwandarbeiten perforiert und aufgeschlitzt waren. Der Bildhauer Fausto Melotti kreierte wunderliche, fantasievolle Objekte und Gefäße.
Schmuck
In den vierziger Jahren begannen Künstler wie Carla Accardi und Melotti dekorative Objekte als “Körperschmuck” zu entwerfen. Seit den späten fünfziger Jahren interessierten sich dann viele Künstler wegen deren exzellenter Formbarkeit für die Edelmetalle. Sie verwandelten ihre Materialien in kleine, vielfach hochexpressive Skulpturen, die en miniature die Stile und Prinzipien veranschaulichten, von denen sich diese Künstler auch bei ihrer Arbeit in anderen Medien leiten ließen.
Fotografie
Neorealistische Prinzipien spielten im Bereich der Fotografie eine ebenso wichtige Rolle wie für das Kino. Die an diesen Prinzipien orientierten Fotografien erscheinen häufig wie Belege für die erbärmlichen Lebensverhältnisse der Armen und den Zerfall der Städte. In den späten vierziger und in den fünfziger Jahren entwickelten die Mitglieder der Fotografen-Gruppen ‘La Bussola und La Gondola’ Verfahren einer subjektiven, formalistischen Darstellung. Zusammen mit anderen dokumentierten sie in kunstvollen, malerischen Bildern die Menschen und die Landschaft, vor allem Süd-Italiens. In den Boom-Jahren der späten fünfziger Jahre bedienten die Paparazzi-Fotografen das wachsende Interesse an Sensationsbildern aus den Kreisen des Großbürgertums und der Welt der Stars und Sternchen.
Film
Durch die Arbeit in authentischen Milieus und die Thematisierung der Alltagsprobleme der Arbeiterklasse gelang es der neorealistischen Bewegung, die in der faschistischen Ära etablierten propagandistischen Kinokonventionen zu erschüttern. Dank solcher Filme wie Luchino Viscontis ‘Ossessione’, 1942 und Roberto Rossellinis ‘Roma città aperta’ (Rom offene Stadt), 1945 avancierte der Neorealismus über Nacht zu einer internationalen Sensation, übte aber auch einen weitreichenden Einfluss auf andere künstlerische Medien aus. Regisseure wie Giuseppe De Santis und Visconti erweiterten die Perspektive des Neorealismus, indem sie dessen moralische Botschaft mit melodramatischen und sinnlichen Elementen verschmolzen. In den fünfziger Jahren wandten sich Federico Fellini und Michelangelo Antonioni vom Neorealismus ab und produzierten abstraktere Filme, die auch dem Fantastischen Raum gaben.
Pier Paolo Pasolini setzte diesen Trend in den sechziger Jahren fort und räumte dem poetischen Gehalt den Vorrang vor der naturalistischen Darstellung ein. Das italienische Kino wird in dieser Ausstellung durch Plakate, Fotos und Filme gewürdigt.
Mode
In den fünfziger Jahren stellten die italienischen Mode-Designer erstmals die Vorherrschaft der Pariser Haute Couture ernstlich in Frage. Giovanni Battista Giorgini, der die Identität der italienischen Mode entscheidend mitgeprägt hat, verlangte, gute Mode müsse einfach, praktisch und tragbar sein. In der Florentiner Sala Bianca machte er internationale Einkäufer mit den Häusern Carosa, Marucelli, Pucci, Veneziani und anderen bekannt. Viele der Modells, die in der Sala Bianca auf dem Laufsteg die italienische Mode präsentierten, trugen Schuhe von Salvatore Ferragamo, der in der Nachkriegszeit mit ungewöhnlichen Formen und Materialien experimentierte.
Architektur
Die Architektur und die Stadtplanung lösten nach dem Krieg durch ihre entscheidende Rolle für den Wiederaufbau leidenschaftliche Debatten aus. Schließlich galt es, zahllose zerstörte Gebäude zu ersetzten und eine neue Gesellschaftsordnung zu schaffen. Die in Mailand ansässige Gruppe ‘Movimento di Studi per l’Architettura’ machte sich für die Durchsetzung des in der Vorkriegszeit international vorherrschenden rationalistischen Stils stark, der sich von den Prinzipien der frühen Moderne herleitete. Auch die Architekten orientierten sich am Neoralismus und folgten damit einem auch schon vor dem Krieg verbreiteten Trend. Sie bezogen sich in ihren Entwürfen auf ländlihe und lokale Traditionen und hofften, auf diese Weise regaionale und Klassenunterschiede überwinden zu können. Die in Rom beheimatete ‘Associazione per l’Architettura Organica’ propagierte eine organische Architektur, die sich von Frank Lloyd Wrights Gestaltungsprinzipien und seiner Idee eines “demokratischen Idealismus” herleiten sollte.
Design
Die Fähigkeit seiner Künstler, zugleich mit fortgeschrittenen industriellen Verfahren und bescheidenen Handwerkstechniken zu arbeiten, verdankt das Italien der Nachkriegszeit sein Renommée als Land eines qualitativ hochstehenden, expressiven Designs. Das stilistische Vokabular der italienischen Designer – etwa Asymmetrie, reduzierte reine Formen und “aerodynamische” Profile – und die Verwendung einfacher, neuer und direkt vor Ort erhältlicher Materialien erwiesen sich als beispielhaft für die internationale Industrie.
So war in den späten fünfziger Jahren der Erfolg italienischer Exportgüter eine wesentliche Ursache für das außergewöhnliche Wirschaftswachstum des Landes.
Die Ausstellung wurde von der Architektin Gae Aulenti entworfen, die bekannt wurde durch ihre Einrichtigungen für das ‘Musée d’Orsay’ in Prais und den ‘Palazzo Grassi’ in Venedig.