Monumente der Melancholie. Update #6
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Mit der Ausstellung „Gesammelte Werke 1“, die einen Überblick über die Erwerbungen 1993 bis 1999 zum Gegenstand hatte, wurde die erste Phase des Sammlungsaufbaus, das „Tuning Up“, abgeschlossen. Mit der Update-Reihe wurde seitdem das im Frühjahr 2000 begonnene Konzept für die Sammlungsausstellungen fortgesetzt. Zusammen mit Leihgaben und „Werken der Wunschliste“ konzipiert das Kunstmuseum seit diesem Zeitpunkt Ausstellungen auf der Grundlage des Sammlungsbestandes zu ausgewählten Themenbereichen.
Ausgehend von Christian Boltanskis umfassender Fotoinstallation „Menschlich“, die drei Jahre nach ihrer Erstpräsentation 1999 den Nordsaal wieder komplett ausfüllen wird, handelt die Präsentation „Monumente der Melancholie. Update #6“ von Menschen unterschiedlichsten Alters, sozialer Herkunft und Nationalität, von Tätern und Opfern. Hierzu gehören die Bilder, die der Belgier Luc Tuymans vor dem Hintergrund des Holocaust entstehen ließ, Produktions- und Wohnstätten, die James Welling in seiner„Wolfsburg“-Serie in ein eigenartiges Licht gesetzt hat, die zunächst zufällig anmutende Begegnung zweier Passanten zu nächtlicher Stunde von Jeff Wall und die fotografischen Porträts der Stadt Tokio und ihrer Bewohner, die Nobuyoshi Araki auf den Streifzügen durch seine Heimatstadt eingefangen hat. Den Abschluss des Rundgangs bilden die in ihren unwirklich erscheinenden Handlungszusammenhängen verstrickten Gestalten Neo Rauchs.
Die 1999 erworbene Rauminstallation „Menschlich“des französischen Künstlers Christian Boltanski war bislang im Kunstmuseum nur ein einziges Mal zu sehen. Die raumgreifende Arbeit vereinigt jene 1300 Porträtfotografien, die der Künstler zwischen 1971 und 1994 in seinen Installationen verwendet hat. Aus Klassenfotos heraus vergrößerte Porträts von Schülern eines jüdischen Gymnasiums in Wien aus dem Jahr 1931, aus Fotos einer spanischen Kriminalzeitschrift sowie aus einem gefundenen Fotoalbum hat Boltanski ein eindringliches Werk des Erinnerns geschaffen, in welchem Täter und Opfer kaum mehr zu unterscheiden sind.
Die Fotos des Amerikaners James Welling sind in den Jahren 1993 und 1994 als Auftragsarbeit für das Kunstmuseum Wolfsburg entstanden. Bei der Fotoserie, die Welling in dieser Zeit schuf, handelt es sich um eine Dokumentation der Stadt Wolfsburg und des Produktionsprozesses im Volkswagenwerk. Mit wenigen Ausnahmen werden Werk und Stadt auf den Schwarzweißfotografien ohne Menschen gezeigt. Vorwiegend im Herbst, Winter und Frühjahr aufgenommen, vermitteln die Aufnahmen einen melancholischen Blick auf den gemeinhin mit dynamischen Prozessen verbundenen Produktionsort.
Zu der Serie „Der Architekt“von Luc Tuymans gab ein Telegramm Albert Speers an Himmler die Anregung, in welchem Speer berichtete, dass den Inhaftierten in den Arbeitslagern zu viel Platz zur Verfügung stände. Nach Verfassen des Berichtes machte Speer mit seiner Frau einen Skiausflug. Laut Tuymans gab ihm dies die Idee für eine Ausstellung über Architektur und Schnee. Über den historischen Aspekt hinaus, nimmt Tuymans Bezug auf eine ganz aktuelle Megalomanie der Hauptstadt Berlin, nach der Wiedervereinigung aufs Neue Deutschlands wichtigste Stadt zu werden. Aus der Serie „Der Architekt“ sind die Werke „Himmler“(1997/98) und „Muur Witte“ (1997/98) vertreten, darüber hinaus zeigen wir „Recherches“(1997/98) und „Hair“ (2000).
Jeff Walls (geb. 1946) inszenierte Schwarzweißfotografie „Passerby“(1996) stellt eine nächtliche Begegnung dar: Zwei Männer begegnen sich auf einer sonst unbelebten Straße, wovon sich der eine schemenhaft in den schwarzen Bildhintergrund entfernt und der andere sich umschaut. Der Kontext dieser nächtlichen Begegnung bleibt unklar, jedoch scheint auch hier, impliziert durch das grell erleuchtete Stoppschild, Unheil zu drohen.
Die Aufnahmen Nobuyoshi Arakis entstammen der Fotoserie „Tokyo Novelle“ und zeigen Arakis Lebenswelt in Tokio: Details aus dem städtischen Umfeld stellt Araki neben weibliche Akte und Stillleben und lässt so das Bild einer Stadt entstehen, die zwischen Tradition und Moderne oszilliert. Die Stadt als gesichtsloser Moloch ist der Hintergrund für Arakis obsessive Aktdarstellungen, die insbesondere durch die Fesselungen, die auf historische Vorbilder der Edo-Periode (1613–1868) verweisen, den westlichen Betrachter verstören.
Der 1960 in Leipzig geborene Neo Rauch schöpft aus dem Bilderschatz früherer Zeiten. Anklänge an den Realismus in seiner sozialistischen Variante – sowohl aus hoher Kunst wie auch aus der werblichen Grafik – sind unübersehbar. Den Betrachter erinnern die freundlichen, roboterhaft agierenden Figuren jedoch gleichermaßen an Vorbilder aus der amerikanischen Werbebranche der 50er- und 60er-Jahre. Rauch nutzt das Repertoire der unbewussten und damit latenten Zeichensprache ganz ohne Attitüde, um neue rätselhafte Szenerien zu konstruieren.
Künstler: Nobuyoshi Araki, Christian Boltanski, Neo Rauch, Luc Tuymans, Jeff Wall, James Welling