Oil
Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters
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Kein anderer Stoff wird die Gesellschaften im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert so geprägt haben wie das Erdöl. Flugzeuge, Panzer und Weltraumraketen, Autobahnen, Shopping Malls und Vorortsiedlungen, Nylonstrümpfe, Plastikberge und Vinyl – zentrale Materialien und Technologien, Lebensweisen und Visionen unserer Zeit verdanken sich der Energiedichte und Wandelbarkeit von Erdöl. Jetzt zeichnet sich jedoch die Dämmerung des „Ölzeitalters“ ab, auch wenn dessen Ende weder genau datiert noch in seinen Auswirkungen abgeschätzt werden kann. Die Ausstellung Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters wirft daher einen spekulativen, poetischen Blick zurück auf die seit rund 100 Jahren andauernde Gegenwart der Erdölmoderne. Aus der Distanz einer hypothetischen Zukunft wird gefragt, was typisch war an dieser unserer Zeit, was großartig und schön, was hässlich und furchtbar, und wie sich all das in Kunst und Kultur widerspiegelt.
Grundlegend ist die Beobachtung eines tiefen Zwiespalts: Benzin und Kerosin, Plastik, Asphalt und Kunstfasern standen im Erdölboom der 1950er- und 1960er-Jahre für die futuristischen Versprechen unbegrenzter Mobilität, individueller Freiheit sowie uneingeschränkter Wandlungsfähigkeit. Heute verbindet man mit ihnen globale Verteilungskämpfe und Müllberge, Klimaerwärmung, Meeres- und Luftverschmutzung.
Die Ausstellung fokussiert all das aus einer fiktiven archäologischen Ferne und sucht zugleich eine thematische und emotionale Nähe: Jenseits festgefahrener Ideologie konfrontiert sie künstlerische Arbeiten mit Naturwissenschaft und Technik, Politik und Alltagsleben, mit Wissen, Praktiken und Apparaten aus Chemie, Bohrwesen und Geologie, aus Arbeitsalltag und Popkultur, aus Industrie und Kulturtheorie. Bekannte und weniger bekannte künstlerische Werke sowohl aus dem Kanon der westlichen Moderne als aus Ölregionen rund um den Globus werden im schwarzen Spiegel des Öls neu betrachtet und mit aktuellen künstlerischen Positionen in Beziehung gesetzt.
Der zeitliche Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den Jahrzehnten zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und heute. Die vorgestellten kultur‑, technik- und erdgeschichtlichen Konstellationen reichen aber einerseits über Mittelalter und Antike bis in die Frühgeschichte der Kultur und des Lebens zurück und greifen andererseits Entwicklungen vor, die hunderte oder sogar tausende Jahre in die Zukunft reichen können.
Dergestalt zeigt die Ausstellung die weltweit erste Retrospektive der weltumspannenden Erdölmoderne.
Teilnehmende Künstler*innen (Auswahl):
Monira Al Qadiri, Ana Alenso, Yuri Ancarani, Qiu Anxiong, Atelier Van Lieshout, Kader Attia, Uwe Belz, Serge Attukwei Clottey, Klaus Auderer, Alessandro Balteo-Yazbeck & Media Farzin, Lothar Baumgarten, Jennifer-Jane Bayliss, Wes Bell, Claus Bergen, Bernardo Bertolucci, Ursula Biemann, Vanessa Billy, Brett Bloom, Mark Boulos, Margaret Bourke-White, Bureau d’Études, Edward Burtynsky, Warren Cariou, Christo, Tony Cragg, Walter De Maria, Mark Dion, Gerardo Dottori, Sokari Douglas Camp, Rena Effendi, William Eggleston, Hans Fischerkoesen, Sylvie Fleury, John Gerrard, Christoph Girardet, Claus Goedicke, Tue Greenfort, Carl Grossberg, Monika Grzymala, Robert Gschwantner, Hans Haacke, Ernst Haeckel, Eberhard Havekost, Romuald Hazoumè, John Heartfield, Armin Herrmann, Michael Hirschbichler, Bernhard Hopfengärtner, Murad Ibragimbekov, Aaditi Joshi, Peter Keetman, Matt Kenyon, Tetsumi Kudo, Ernst Logar, Mark Lombardi, Ellen Karin Mæhlum, Rémy Markowitsch, Ralf Marschalleck, Wolfgang Mattheuer, Paul Michaelis, Kay Michalak & Sven Völker, Richard Misrach, Michael Najjar, Hugo Niebeling, Franz Nolde, Kate Orff, George Osodi, Alex Prager, Alain Resnais, Oliver Ressler, Martha Rosler, Miguel Rothschild, Ed Ruscha, Shirin Sabahi, Santiago Sierra, Taryn Simon, Andreas Slominski, Robert Smithson, Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, Thomas Struth, The Center for Land Use Interpretation, Wolfgang Tillmans, Gunhild Vatn, Wolf Vostell, Entang Wiharso, Erwin Wurm, Yuts.
Zur Ausstellung erscheint im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln, eine umfangreiche, transdisziplinäre Publikation in deutscher und englischer Sprache, herausgegeben von Andreas Beitin, Alexander Klose und Benjamin Steininger, gestaltet von Jan Kiesswetter. Das Buch stellt ein umfassendes Kompendium der Kunst in der internationalen Erdölmoderne dar und behandelt auch Arbeiten, die in der Ausstellung nicht gezeigt werden können. Im Spiegel der Kunstwerke werden gesellschaftliche, ökonomische, politische und kulturelle Bedingungen in verschiedenen zeitlichen Abschnitten und in verschiedenen regionalen Ausprägungen der Erdölmoderne rund um den Globus sichtbar.
Eine Reihe international renommierter Autor*innen wird sich aus ihrer jeweiligen Perspektive mit künstlerischen Positionen der Erdölmoderne auseinanderzusetzen, darunter u.a.: Akintunde Akinleye (Lagos), Leila Alieva (Oxford), Jan von Brevern (Berlin), Heather Davis (New York), Elena Engelbrechter (Hannover), Christoph Engemann (Berlin), Timothy Furstnau (Windham/New York), Eckhart Gillen (Berlin), Rüdiger Graf (Berlin), Helmut Höge (Berlin), Isabel Piniella (Luzern), Karen Pinkus (New York), Christian Schwarke (Dresden) , Suwarno Wisetrotomo (Yogyakarta/Java) und Susanne Witzgall (München).
Mit großzügiger Unterstützung der Stiftung Niedersachsen.
Kuratoren
Alexander Klose (Berlin), Benjamin Steininger (Berlin/Wien) und Andreas Beitin
Wissenschaftliche Mitarbeit
Elena Engelbrechter
Kuratorische Assistenz
Regine Epp
Hörspur
Eine eigens für die Ausstellung entstandene Audiospur eröffnet in Hörspielsequenzen spekulative Ausblicke auf verschiedene Versionen von Zukünften mit und ohne Öl.
Curatorial
Das digitale Curatorial steht als Guide zur Vertiefung von Ausstellungsinhalten zur Verfügung. Mit ihm gibt es vielfältige und tiefergehende Möglichkeiten, sich mit dem Ausstellungsthema zu beschäftigen.
Publikation
Presse
Echte Kunst und echtes Öl in einer Ausstellung zusammenzubringen – eine echte Herausforderung. Aber das Kunstmuseum Wolfsburg will zeigen, dass es die moderne Welt und ihre Mobilität ohne Öl nicht geben würde. Es ist der Stoff, von dem wir alle abhängig wurden, der uns schneller, weiter, höher brachte. […] Die Ausstellung Oil in Wolfsburg bis Januar 2022 ist eine rasante, schrecklich-schöne Zeitreise auf der Ölspur.
Peter Kunz, ZDF Heute Journal, 13.9.2021
Gerade in der Nachkriegszeit sprudeln mit dem schwarzen Gold futuristische Versprechen von grenzenloser Mobilität und individueller Freiheit an die Oberfläche. Es läuft und läuft und läuft – bis es nicht mehr läuft, unzählige Kriege ums Öl geführt werden, die Zerstörung des Planeten unübersehbar wird. Heute stehen wir am Ende des Erdölzeitalters – und so wirft ‚Oil‘ als ‚weltweit erste Retrospektive der weltumspannenden Erdölmoderne‘ den Blick zurück auf eine Welt, von der wir uns gerade zu verabschieden beginnen.
Monopol online/dpa, 3.9.2021
Die Ausstellung zeigt 220 Gemälde, Skulpturen, Installationen, Videos und Fotografien aus allen Teilen der Welt. Öl wird als Rohstoff für Verkehrsmittel präsentiert, in verschiedenen politischen Systemen, als Kunstdünger oder Antriebsstoff einer Rakete – und als Schrecken im Einsatz als Tötungsmittel. Dabei begibt sich die Schau auch in eine hypothetische Zukunft, die einen Blick zurück wirft ins Heute.
Torsten Landsberg, Deutsche Welle online, 4.9.2021
Dem ‚schwarzen Gold‘ verdanken wir Fortschritt und Mobilität. Flugzeuge und Autobahnen, aber auch Nylonstrümpfe oder Vinyl wären ohne Erdöl wohl nicht entwickelt worden. Doch inzwischen wissen wir auch, wie teuer uns all das zu stehen kommt: Das ‚Ölzeitalter‘ nähert sich dem Ende, der Plastikmüll bleibt, der Klimawandel verändert die Erde. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg beschäftigt sich nun mit ‚Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters‘ und liefert einen ungewöhnlichen Blick auf rund 100 Jahre Erdölgeschichte. Kunst trifft dabei auf Technik, Politik und Alltagsleben.
NDR.de, Kulturjournal, 6.9.2021
[…] Eine Errungenschaft, deren Ambivalenz immer schmerzlicher spürbar wird: Was einerseits das Leben so viel einfacher macht, ist andererseits Anlass für Krieg, Ausbeutung und Umweltzerstörung. Im Spiegel der Kunst auf die dämmernde „Petromoderne“ zurückzublicken hat brisantes Potential.
Katinka Fischer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.9.2021
Erdöl hat unser Gefühl für Kraft, Geschwindigkeit, Entfernung und Reichtum geprägt und es hat unsere Wünsche geformt. Der Rundgang in Wolfsburg macht deutlich: Energiesparen bedeutet den Abschied von Allmachtsfantasien. Andernfalls allerdings ist dem Menschen das Schicksal des Ichthyosaurus beschieden.
Simone Reber, Deutschlandfunk Kultur, Sendung Fazit, 3.9.2021
Auf einer Zeitachse führt uns die sehenswerte Ausstellung erst unter die Erde, dann am Ende bis in den Weltraum, den zu erobern der Mensch ohne die Schubkraft des Öls kaum in der Lage gewesen wäre. Dazwischen unternehmen es etwa 220 Exponate aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technik, eine Bilanz zu ziehen und die Vor- und Nachteile des Erdölzeitalters darzustellen.
Michael Stoeber, Hannoversche Allgemein Zeitung, 4.9.2021