Peter Fischli/David Weiss

Arbeiten im Dunkeln

31. 1. — 3. 5. 1998

Infos

Seit 1979 arbei­teten die Schweizer Künstler Peter Fischli (geb. 1953) und David Weiss (1946–2012) zusammen, und seit dieser Zeit widmeten sie ihre ganze Aufmerk­sam­keit der alltäg­li­chen Welt. Hier fanden sie ihre Themen und ihren Fundus, um sie als Kopien oder Ready­mades in die Kunstwelt zurück­zu­bringen und damit unser Bewusst­sein für die Reali­täten der Welt zu schärfen.

Die erste Retro­spek­tive, die vom Walker Art Center, Minnea­polis, organi­siert wurde und an­schließend in Pennsyl­vania, Ohio, San Francisco und Boston zu sehen war, wird nun erst- und einmalig in Europa, im Kunst­mu­seum Wolfsburg gezeigt. Sie umfasst Arbeiten von 1979–1997, darunter Fotogra­fien aus der Wurst­serie (1979), die Airports (1991) und abenteu­er­liche Balancen aus „Stiller Nachmittag“ (1984–1985), über die die Künstler sagen: „Am schönsten ist das Gleich­ge­wicht, kurz bevor‘s zusam­men­bricht“. Dieser stille Humor zeigt sich auch in den kleinen Tonskulp­turen der Serie „Plötzlich diese Übersicht“ (1981) oder den Gummiskulp­turen, die 1986–1989 entstanden sind. Zu den weithin bekannten Arbeiten gehören die aus Polyure­than geschnitzten und bemalten Repliken von Alltags­ge­gen­ständen. Zu ihnen gehört das, was die Künstler brauchen, um ihre Arbeiten herzu­stellen oder der Galerist benötigt, um eine Ausstel­lung aufzu­bauen: Handwerks­zeug, Latten, Flaschen, Pinsel, die Milchtüte zur Stärkung, die Coca-Cola zum Wachbleiben oder die Zigaretten zur Beruhi­gung. Mit dem Arran­ge­ment dieser Trompe-l’œil irritieren sie den unvor­be­rei­teten Betrachter wie den Kenner immer wieder aufs Neue. Haben die Künstler vergessen aufzu­räumen, oder ist das bereits ein Teil der Ausstellung?

Ohne Zweifel ist der 1987 fertig­ge­stellte Film „Der Lauf der Dinge“ (30 Min.) die populärste Arbeit von Fischli/Weiss. Eine Ketten­re­ak­tion einfachster chemi­scher, physi­ka­li­scher und mecha­ni­scher Reaktionen hält den Zuschauer ständig im Bann und stimu­liert Befürch­tungen über die kreative Erfin­der­lust der eigenen Spröss­linge, wenn sie unbeob­achtet zu Hause fanta­sie­voll experi­men­tieren. Kontras­tiert wird dieser „Action­film“ von den Eindrü­cken aus dem Züricher Abwas­ser­system, die das Kanal­video (1992) ans Licht bringt.

Ein Glanz­punkt auf der Biennale von Venedig 1995 war ihre Video­in­stal­la­tion „Ohne Titel“ im Schweizer Pavillon. Die Szenerie gleicht einer Lounge, in der Menschen warten und eine gewisse Zeit verbringen. Um 12 Farbfern­seher sind Stühle gruppiert. Hier können die Besucher sich Szenen aus dem Alltag ansehen. Ein Wasser­spender sorgt für die nötige Erfri­schung. Gespannt verfolgt man die einzelnen Sequenzen, in der Erwartung, dass plötzlich etwas Sensa­tio­nelles passiert, ein Drama vielleicht oder etwas Komisches, gelegent­lich Schockie­rendes, wie im TV-Programm. Aber nichts Außer­ge­wöhn­li­ches sorgt für Spannung, auch der gelegent­liche Blick auf die übrigen Monitore verstärkt die Gewiss­heit, dass man auch dort keine „Action“ verpassen würde. Allmäh­lich legt sich das Gefühl von Unruhe und Rastlo­sig­keit. Man kann sich zurück­lehnen und Menschen bei ihren Tätig­keiten zusehen, den Servie­re­rinnen, die das Mittag­essen aus der Küche zu ihren Gästen bringen, den Arbeitern, die einen Baum fällen oder den Jägern, die die erlegten Füchse fachmän­nisch am Gelän­de­wagen für den Abtrans­port verzurren. Der Zuschauer befindet sich wie ein Betei­ligter mitten im Geschehen, weil keine Zeitsprünge statt­finden, sondern lediglich der Wechsel der Betrach­ter­per­spek­tive. Diese Geschwin­dig­keit entspricht der Echtzeit der Ereig­nisse. Nichts ist durch schnelle Schnitt­folgen kompri­miert. Für die durch „Action-Film und MTV“ erprobten Augen wird die Wirklich­keit zu einer Entde­ckung der Langsam­keit. Wir scheinen etwas zum ersten Mal zu sehen, was wir bereits kennen. Bice Curiger hat diese Diktion vergli­chen mit Schüler­auf­sätzen zum Thema: „Mein schönstes Ferienerlebnis“.

In dieser Arbeit, die jetzt zur Sammlung des Kunst­mu­seums Wolfsburg gehört, haben die beiden Künstler in 96 Stunden über 120 Szenarien aus dem Alltag zusam­men­ge­stellt. Sie schätzen das Geringste und Banalste, die Poetik des wirkli­chen Lebens. Ihre Kunst ist niemals belehrend, keinem morali­schen oder existen­zi­ellen Thema verschrieben, noch einsei­tigen formalen oder stilis­ti­schen Ausprä­gungen unterworfen.

Neu aufge­nommen wurde in die Wolfs­burger Ausstel­lung das Projekt der Künstler für die documenta X in Kassel. Das achtstün­dige Video, das in Abschnitten um Mitter­nacht auf dem Kultur­kanal von Arte zu sehen war, wird nun erstmalig als dreitei­lige Video­in­stal­la­tion im Kunst­mu­seum Wolfsburg gezeigt werden. Das Video basiert auf fotogra­fi­schem Archiv­ma­te­rial, das durch Überblen­dungen anein­an­der­ge­reiht und nach Themen gruppiert ist. Schnapp­schüsse von Reisen und Ausflügen, Landschaften und Sonnen­un­ter­gängen, klischee­hafte Touris­ten­bilder, die scheinbar Reise­pro­spekten entnommen sein könnten und keine beson­deren Eigen­schaften besitzen. David Weiss sagt dazu: „Wenn man Bilder macht, dann sollte ihr Thema nicht die Körnig­keit oder der Stil des Fotografen sein. Formale Aspekte sollten nicht Inhalt sein. Die Dinge sollten in der Bildmitte sein, und das Wetter sollte schön sein.“

Katalog
Peter Fischli, David Weiss. Arbeiten im Dunkeln
Texte von Elizabeth Armstrong, Arthur C. Danto, Patrick Frey und Boris Groys
17 x 21,5 cm, 143 S., 97 s/w und 30 farbige Abb.
Cantz Verlag, Ostfil­dern 1997
ISBN 3–89322-347–9
vergriffen