Re-Inventing Piet.
Mondrian und die Folgen
Infos
Von Kleidern und Kosmetikverpackungen über Uhren, T‑Shirts, Taschen bis hin zu ganzen Häuserfassaden – wer kennt sie nicht, die eingängige und schnell wiedererkennbare Gestaltung von Alltagsobjekten, die sich so unverkrampft wie unverblümt an den abstrakten Kompositionen eines der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts bedienen: Piet Mondrian. Immer wieder hatte er gefordert, Kunst und Leben miteinander zu verbinden und tatsächlich sind seine Werke und ihre Variationen in zahllose Bereiche des Lebens visuell eingedrungen. Ausgehend von Werken seiner wichtigsten Schaffensphase bietet die Ausstellung anhand von rund 150 Kunstwerken und Objekten einen Einblick in die facettenreiche Auseinandersetzung mit dem neoplastischen Hauptwerk Piet Mondrians.
Wie kaum ein anderer schaffte es Piet Mondrian (geboren 1872 im niederländischen Amersfoort, gestorben 1944 in New York, USA) binnen weniger Jahre, sich von der figurativen Malerei loszusagen und einen richtungsweisenden abstrakten Malstil zu entwickeln, den er in seinen umfangreichen kunsttheoretischen Schriften als „Neue Gestaltung“ oder „Neoplastizismus“ bezeichnete. Mondrians vermeintlich schlichte Kompositionen aus zunächst schwarzen Linien und farbigen Rechtecken auf weißem, hellblauem oder grauem Grund haben die Kunstwelt nichts weniger als revolutioniert. Und obwohl seine neoplastischen Werke für viele schwer zugänglich waren, ist keine andere künstlerische Position im 20. und 21. Jahrhundert so oft und so vielfältig zitiert, kopiert, variiert, appropriiert, adaptiert oder persifliert worden wie die Piet Mondrians – von der Mode, der Werbung, der Architektur, dem Design und vor allem von der Kunst selbst. Eine Auswahl von Werken Piet Mondrians aus der Zeit von 1913–1936 wird in einem zentralen Rundbau in der Ausstellung präsentiert.
Das partizipative Projekt „Bring your own Mondrian“, bei dem alle Besucher*innen eingeladen sind, „Mondrianalien“ aus ihrem Umfeld mitzubringen, offenbart zu Beginn der Ausstellung die Vielfalt der Adaptionen und die kommerzielle Vereinnahmung der „Marke Mondrian“. Zur Popularisierung seines Werks und zum Einfluss in viele Lebensbereiche haben bereits in den 1960er-Jahren die berühmten Cocktailkleider von Yves Saint Laurent beigetragen, Mondrians Ideen buchstäblich in die Öffentlichkeit zu tragen. Den Aufstieg zur Luxusware in der Fashionindustrie thematisiert Sylvie Fleury in ihren Arbeiten.
Zahlreiche Beispiele aus dem niederländischen Umfeld der De Stijl-Bewegung, der auch Mondrian angehörte, zeigen, dass in den 1910er-Jahren auch Künstlerkolleg*innen wie Bart van der Leck, Theo van Doesburg und Gerrit Rietveld nach neuen Formen der Gestaltung strebten. In Paris beteiligte sich Mondrian später in den am Konstruktivismus ausgerichteten Vereinigungen Cercle et Carré, der auch Sophie Taeuber-Arp, Jean Gorin und Kurt Schwitters angehörten, sowie Abstraction-Création, zu der u.a. Marlow Moss und Władysław Strzemiński zählten.
Nach seiner Emigration in die USA 1940 lernte Mondrian neben einigen anderen Künstler*innen auch Lee Krasner kennen, mit der er die Vorliebe für Jazz und die Idee von Rhythmus in der Malerei teilte.
Die nachfolgende Rezeption von Mondrians bahnbrechenden Kompositionen und seinen Einfluss auf folgende Künstler*innen-Generationen stellt die Ausstellung unter verschiedenen Aspekten vor. Werke etwa von Hal Busse, Mary Heilmann, Sarah Morris oder François Morellet/Tadashi Kawamata stehen im Spannungsfeld von Konstruktion bzw. Dekonstruktion. Mittels unterschiedlicher Strategien und im Rahmen ihres eigenen individuellen künstlerischen Ausdrucks setzen sich eine Reihe der Künstlerinnen mit Mondrian konstruktiv, adaptiv oder zitathaft auseinander. Über Projektionen werden in einem der Ostkabinette des Museums Beispiele von Mondrian-Adaptionen aus dem Architekturbereich präsentiert (u.a. Yacoov Agam).
Der Bereich der Rekonstruktionen bietet eine Auswahl von Werken, die im Zwei- oder Dreidimensionalen entweder konkrete Bilder von Mondrian nachbilden oder die im Stil von Mondrian gearbeitet sind: In Anlehnung an Mondrians letzte Arbeitsphase besteht Tom Sachs’ Bild ausschließlich aus Klebebändern und die exakt rekonstruierten „Mondrians“ von Gregor Hildebrandt sind aus verschiedenfarbigen Tonbändern gefertigt. Die materiell wie malerisch bewusst schludrig geschaffenen „Tafelbilder“ von Mathieu Mercier stellen eine bewusst ironisch-subversive Auseinandersetzung dar.
Subversiv-provokativ ist auch der Titel von Dennis Oppenheims Skulptur, mit dem er suggeriert, dass es sich um einen „explodierten Mondrian“ handele. Aus einer formalen sowie kulturellen Distanz heraus setzt sich Remy Jungerman mit Mondrian auseinander, indem er dessen modernistische Ästhetik mit Verweisen auf die Maroon-Kultur und mit westafrikanischen Elementen verbindet und zugleich den westlichen Kunstkanon hinterfragt. Mit einer radikal-ikonoklastischen Geste schreitet Iván Argote in seinem kurzen Video zur Tat, als er zwei berühmte Gemälde im Pariser Centre Pompidou vermeintlich mit Sprühfarbe bedeckt und somit den Wert von Kunst infrage stellt.
Unter dem Aspekt Reflexion und Rezeption nähert sich Joseph Kosuth auf einer konzeptuellen Ebene den Bildern Mondrians, indem er innerhalb eines typischen neoplastischen Liniengeflechts verschiedene Statements aus Mondrians Schriften zitiert. Auch Claudia Angelmaier und Melissa Gordon dringen tief in die Rezeptionsgeschichte ein, indem sie sich auf die Sekundärliteratur zu Mondrian beziehen. Jörg Sasse spürt in seiner Fotografie der Migration von Mondrian-Anleihen in der Gestaltung von Alltagsgegenständen der Nachkriegszeit nach.
Die Erfolgsgeschichte von Piet Mondrians neoplastischer Kunst liegt hauptsächlich in der vermeintlich einfachen und zugleich schnell wiedererkennbaren Kombination aus rechtwinkligen Gestaltungsstrukturen und der Beschränkung auf die drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau begründet. Kognitionspsychologisch scheint es zu genügen, in bestimmten Farb- und Formkonstellationen mondrianeske „Bilder“ zu entdecken, wie die Arbeiten von John Bodin, Philippe Calia und Saul Leiter offenbaren.
Künstler*innen der Ausstellung
Bas Jan Ader, Yaacov Agam, Claudia Angelmaier, Iván Argote, Amber Ambrose Aurèle, John Baldessari, Michael Barnaart van Bergen, Georg Baselitz, Max Bill, Anna & Bernhard Blume, John Bodin, Corrado Bonomi, KP Brehmer, Mark Brusse, Hal Busse, Philippe Calia, Miguel-Ángel Cárdenas, Lygia Clark, Corneille, Theo van Doesburg, César Domela, Jacob van Domselaer, Lajos d’Ebneth, Cornelis van Eesteren, Tim Eitel, Ndidi Emefiele, Ernest T., Erró, Cornelis van Eesteren, Ian Hamilton Finlay, Sylvie Fleury, Simon Freund, Ryan Gander, General Idea, Isa Genzken, Torben Giehler, Fritz Glarner, Melissa Gordon, Torben Giehler, Jean Gorin, Camille Graeser, Joachim Grommek, Dieter Hacker, Ian Hamilton Finlay, Mary Heilmann, Gregor Hildebrandt, Alfred Hrdlicka, Vilmos Huszár, Remy Jungerman, Barbara Kasten, Hiroshi Kawano, Tadashi Kawamata, Hiroshi Kawano, Anselm Kiefer, Martin Kippenberger, Jakob Lena Knebl, Imi Knoebel, Krijn de Koning, Joseph Kosuth, Lee Krasner, Germaine Kruip, Louise Lawler, Bart van der Leck, Saul Leiter, Sherrie Levine, Erik van Lieshout, Cristina Lucas, Mathieu Mercier, Piet Mondrian, Jonathan Monk, Thomas Moor, François Morellet, Sarah Morris, Marlow Moss, Robert Motherwell, Simon Mullan, Hélio Oiticica, Dennis Oppenheim, Eduardo Paolozzi, Claudio Parmiggiani, A. R. Penck, Gerrit Rietveld, Peter Rozemeijer, Tom Sachs, Yves Saint Laurent, Jörg Sasse, Kurt Schwitters, Bongchull Shin, Kathryn Sowinski, Daniel Spoerri, Magnus von Stetten, Władysław Strzemiński, Grzegorz Sztwiertnia, Sophie Taeuber-Arp, Gerold Tagwerker, Timm Ulrichs, Bolesław Utkin, Lois Weinberger, Ben Willikens, Sebastian Winkler, Piet Zwart.
Konzept und Kurator
Andreas Beitin
Co-Kuratorin
Elena Engelbrechter
Kuratorische Assistenz
Carla Wiggering
Publikation
Magazin
Review: Volkswagen Group Art4All mit Mondrian Look Contest
Volkswagen Group Art4All im Juni: Look like a Mondrian
Review: Volkswagen Group Art4All mit Sven Elverfeld
Theaterstück BLI-BLIP begeistert klein und groß
Blumengrüße à la Mondrian zu Pfingsten
Volkswagen Group Art4All im Mai mit Sven Elverfeld
Review Volkswagen Group Art4All: Von Mondrian, Mr. Bean, Mickey Mouse und Nail-Art
Im Gespräch mit der niederländischen Botschaftsrätin Beate Gerlings
Matinée. Kunst und Mode mit Ferhat Kartal
Presse
„Willkommen im Mondrian-Archipel.“
Jens Hinrichsen, Monopol, März 2023
„Nie fiel es […] so leicht, Mondrian als epochalen Künstler zu bewundern, wie in dieser grandiosen Ausstellung, die vorführt, auf wie viele Arten man sich an einem großen Vorbild abarbeiten kann.“
Art Magazin, Juli 2023, Wolfgang Ullrich
„Dass es also in diesen bitteren Zeiten auch was zum Lachen oder allemal zum Schmunzeln gibt, ist naheliegend und allein einen Ausstellungsbesuch in Wolfsburg wert. Freilich verführt auch die Künstlerliste – von Theo van Doesburg über Francois Morellet und Sylvie Fleury bis zu Mathieu Mercier.“
Informationsdienst Kunst, 9. März 2023
„Eine groß angelegte, fabelhafte Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg“
Hannoversche Allgemeine Zeitung, Michael Stoeber, 10. März 2023
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