Richard Avedon
In the American West
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Der im Jahr 1923 geborene Avedon brach 1942 sein Studium ab und verpflichtete sich bei der Handelsmarine der Vereinigten Staaten und wurde zunächst in der dortigen Bildstelle für die Aufnahmen der Kennkartenfotos der Mannschaften eingesetzt. Avedon bemerkt zu dieser Zeit: „Ich muss vielleicht hunderttausend verwirrte oder verständnislose Gesichter aufgenommen haben, bevor mir zum ersten Mal der Gedanke kam, dass ich ein Fotograf wurde.“ Als er sich Anfang der Vierzigerjahre beim amerikanischen Hochglanzmagazin Harper’s Bazaar bewirbt, enthält seine Mappe Porträts aus der Zeit bei der Handelsmarine, die die Aufmerksamkeit des Art Directors Alexey Brodovitch erwecken. Avedon wird engagiert und in den folgenden Jahren einer der exponiertesten Fotografen des Magazins, und prägt dessen Stil entscheidend. Die Atmosphäre dieser Zeitschrift war für Avedon in seinen frühen Jahren von großer Bedeutung. Es waren seine Lehrjahre als Fotograf, der sich die ihn umgebende Welt durch seine Arbeit anzueignen begann.
Avedon gilt in der Modefotografie als bahnbrechender Erneuerer und obgleich er eine Vielzahl von künstlerischen Projekten außerhalb der Modewelt realisiert hat, gründet sich sein Ruhm weitgehend auf die inzwischen legendären Mode- und Werbeaufnahmen. Er beendete die Ära steifer Studiosets und schuf wie ein Filmregisseur Szenen, in denen die Fotomodels wie Schauspieler agieren. Beginnend in den Vierzigerjahren in Paris kreiert Avedon Situationen, die wirken, als habe der Fotograf sie zufällig entdeckt, obgleich jede Szene bis ins letzte Detail von ihm vorbereitet und inszeniert ist. Noch heute gelten einige seiner Aufnahmen als Inkunabeln der Modefotografie. So ließ er etwa 1955 das Fotomodell Dovima in einem eleganten Abendkleid von Dior im Spiel mit zwei Elefanten posieren. Ein weiterer Meilenstein der Fotogeschichte sind seine großformatigen Fotowände. Auf diese Weise porträtierte er unter anderem die Mitglieder der Factory Andy Warhols oder die Beatles.
Im Jahr 1959 erscheint der Fotoband „Observations“ mit Texten von Truman Capote, dessen Layout sehr stark vom Stil des Magazins Harper’s Bazaar beeinflusst war. Der Band enthält einige der prägnantesten Porträts Avedons, so zum Beispiel Aufnahmen von Charlie Chaplin, Marcel Duchamp, Carson McCullers, dem Herzog und der Herzogin von Kent sowie von Marilyn Monroe und Arthur Miller. Es folgen eine Reihe von Projekten, bei welchen er die Sphäre der Mode und des Glamours dezidiert verließ. So fotografierte er 1963 die Bürgerrechtsbewegung im Süden der USA und arbeitete zusammen mit James Baldwin an dem Buch „Nothing Personal“. Im selben Jahr entsteht die Serie „Psychiatrische Anstalt“, zu deren Realisierung Avedon sich über einen längeren Zeitraum in einem psychiatrischen Krankenhaus aufhielt und die Insassen fotografierte und sich damit einem Tabuthema der Gesellschaft widmete.
1966 wechselte er von Harper’s Bazaar zum Modemagazin VOGUE. Ende der Sechzigerjahre und Anfang der Siebzigerjahre fotografierte er Demonstranten gegen den Vietnamkrieg in den USA sowie Militärbefehlshaber und Kriegsopfer in Vietnam und manifestierte damit abermals sein Interesse an gesellschaftlichen Zusammenhängen und impliziert in seinen Fotografien eine deutlich erkennbare moralische Absicht.
Nach seiner Zeit in Vietnam widmete sich Avedon für insgesamt fünf Jahre von 1979 bis 1984 der Fotoserie „In The American West“. Im Auftrag des Amon Carter Museums in Fort Worth, Texas, ging Avedon daran, das Leben der arbeitenden Bevölkerung im amerikanischen Westen zu dokumentieren. Avedon reiste wiederholt monatelang durch verschiedene Bundesstaaten und konzentrierte sich auf ganz bestimmte Orte: Ranches, Kohlegruben, Ölfelder, Schlachthöfe, kleinstädtische Restaurants und Büros und beobachtete gar das archaisch anmutende Fangen von Klapperschlangen. Er traf auf Strafgefangene, Obdachlose, Tramps, auf Zirkusartisten und Rodeocowboys. Alle Aufnahmen entstanden bei Tageslicht im Freien vor einem einfachen weißen Hintergrund. Das Resultat ist eine schonungslose Fotoserie, die bei ihrer ersten Präsentation in Texas vehemente Kritik erzeugte. Avedon hatte mit seinen Porträts von Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft der USA befinden, einen Mythos dekonstruiert. Der amerikanische Westen als Paradigma des Begehrens, der Freiheit und der Weite ist bei ihm nicht mehr das Gelobte Land, das Land der Pioniere und Eroberer, sondern ein unwirtliches Gebiet, das seinen Bewohnern viel Kraft abverlangt. Ikonografisch sind bei den Porträts zuweilen Bezüge auf kunsthistorische Motive erkennbar. So findet sich ein Christus als Schmerzensmann (James Story, Kohlearbeiter), der David von Michelangelo (Billy Mudd, Lastwagenfahrer) oder die Allegorie der Fortuna (Petra Alvarado, Fabrikarbeiterin, an ihrem Geburtstag).
Richard Avedons eindrucksvolle und psychologische Porträtserien rücken ihn in die erste Reihe der Menschendarsteller dieses Jahrhunderts. Eine seiner großen Serien der letzten Jahre ist der Silvesterfeier am Brandenburger Tor 1989 gewidmet, in der er für die Hoffnungen und Ängste der feiernden Menschenmenge symbolische Bilder fand.
Katalog
Richard Avedon. In the American West 1979–1984
Texte von Annelie Lütgens und Laura Wilson
24 x 29,8 cm, 150 S., 72 s/w und 4 farbige Abb.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2001
ISBN 3–7757-1115–5
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