This Was Tomorrow. Pop Art in Great Britain
Infos
Genau 60 Jahre nach Richard Hamiltons bahnbrechender Multimedia-Installation „Fun House“, realisiert für die Ausstellung „this is tomorrow“ 1956 in London, vereint die retrospektive Überblicksschau „This Was Tomorrow“ im Kunstmuseum Wolfsburg in einer multimedialen Rauminszenierung Malerei, Skulptur, Collage, Architektur, Zeichnung, Installation, Film, Musik, Fernsehen und Fotografie zu einem umfassenden Panorama der Pop Art in Großbritannien.
Was konkret ist kunst- und kulturhistorisch neu und anders in dieser Ausstellung? Der besondere Blick auf weibliche Akteure der Pop Art, der starke Fokus auf die eng mit der Kunstszene vernetzten Architekten Alison und Peter Smithson, Cedric Price, Archigram und die dezidierte Einbeziehung von Musik, Zeitschriftenkultur, Fernsehen und Film als gleichwertige Medien weiterer Grenzüberschreitung. Markant ist auch der erweiterte Zeitrahmen: Der Bogen der Ausstellung spannt sich von Eduardo Paolozzis frühen Pariser Collagen von 1947 bis zum Höhe- und Endpunkt des „Swinging London” 1968 rund um Mick Jagger und Robert Fraser, Stargalerist und Pop-Netzwerker par excellence.
Atmosphärisch dichte Innenräume spiegeln die intensiven Zusammenkünfte der Künstler und die Tristesse der englischen Nachkriegskapitale sowie die ersten, zukunftsweisenden Kunst- und Architekturprojekte. Nigel Hendersons eindringliche Schwarz-Weiß-Fotografien eines entbehrungsreichen Wiederaufbaus treffen auf Modelle und Entwurfszeichnungen der Smithsons für ihr „House of the Future“. Comics, Science-Fiction, wissenschaftliche Buchillustrationen, Werbeanzeigen, Hollywood-Filme und Zeitschriftenseiten werden jenseits jeden klassischen High-and-Low-Denkens als Inspirationsquellen sichtbar. Nach der Raumexplosion von Richard Hamiltons „Fun House“, das in allen sinnlichen Details inklusive Jukebox und Erdbeerduft rekonstruiert wird, betreten die Besucher mit der großen Ausstellungshalle des Kunstmuseums eine veritable „City of the Sixties“.
In der 16 Meter hohen Halle sind Straßen, Plätze und Künstlerhäuser für die sehr individuell arbeitenden, jedoch nicht selten freundschaftlich und inhaltlich verbundenen Akteure der Kunst- und Kulturszene der „Swinging Sixties“ entstanden. Zentrale Protagonisten wie Peter Blake, David Hockney, R. B. Kitaj und Allen Jones, etwas unbekanntere, jedoch wesentliche Mitstreiter wie Derek Boshier, Peter Phillips, Richard Smith, Gerald Laing, Patrick Caulfield, Antony Donaldson, Colin Self und Joe Tilson, aber auch die oft vernachlässigten, dezidiert weiblichen Positionen von Pauline Boty und Jann Haworth sind dort mit größeren Werkgruppen zu erleben.
Stets geht es darum, die zahlreichen, heute meist vergessenen Querverbindungen zwischen den damals fluide werdenden Kulturformen und ihren kreativen Akteuren exemplarisch sichtbar zu machen. Der weite Bogen der Ausstellung, von der Initialzündung der frühen Zeitschriftencollagen Paolozzis über die zwischen Atomangst und Fortschrittseuphorie pendelnden Arbeiten von Colin Self oder Gerald Laing bis zu Hamiltons Bildrelief mit den wegen Drogenmissbrauchs in Handschellen gelegten Mick Jagger und Robert Fraser, macht die künstlerische und kulturhistorische Bedeutung der britischen Pop Art mit allen Sinnen erlebbar – und erschließt diese Zeit als wesentliche Vorgeschichte unseres Heute.
Die Ausstellung wird von der Volkswagen Financial Services AG unterstützt.
KünstlerInnen, ArchitektInnen, Filmregisseure, Musikbands und Fotografen
Michelangelo Antonioni, Archigram, David Bailey, The Beatles, Peter Blake, Derek Boshier, Pauline Boty, Patrick Caulfield, Antony Donaldson, Richard Hamilton, Jann Haworth, Nigel Henderson, David Hockney, Allen Jones, R. B. Kitaj, Gerald Laing, Roger Mayne, Lewis Morley, Eduardo Paolozzi, Peter Phillips, Cedric Price, Ken Russell, James Scott, Colin Self, Michael Seymour, Richard Smith, Alison and Peter Smithson, Lord Snowdon, The Rolling Stones, Joe Tilson, The Who.
Ausstellungskatalog
Zur Ausstellung erscheint im Wienand Verlag der gleichnamige umfassende Katalog in deutscher und englischer Ausgabe, herausgegeben von Ralf Beil und Uta Ruhkamp, mit Essays von Ralf Beil, David E. Brauer, Anne Massey, Rainer Metzger, Uta Ruhkamp und John-Paul Stonard, Texten u. a. von Daniel F. Herrmann, Kay Heymer, Francis Outred, Sue Tate und Victoria Walsh sowie einer Chronologie der Jahre 1947 bis 1968. 432 Seiten mit ca. 400 Abbildungen, 24 x 31 cm, gebunden, 38 € im Museumshop.
Ausstellungsumfang
Insgesamt rund 2100 qm Ausstellungsfläche: Haupthalle, Kabinette EG, Galerie 1. OG.
Ausstellungskuratoren
Dr. Ralf Beil, Direktor, Dr. Uta Ruhkamp, Kuratorin, Kunstmuseum Wolfsburg
Videos
Pressestimmen
Die Einladung zu synästhetischer Wahrnehmung und Reflexion war prägend für die legendäre Londoner Ausstellung „This is Tomorrow”, für die der Künstler (Richard Hamilton) seinerzeit die Collage entworfen hatte. Und sie prägt die grandiose Wolfsburger Schau, die an sie erinnert. In ihr zollen der Direktor des Kunstmuseums Ralf Beil und seine Kuratorin Uta Ruhkamp in einem fantastischen, sich weit auffächernden Panorama der britischen Pop Art Respekt. Mit einer unglaublichen Fülle an Materialien, Werken und Künstlerporträts machen sie die Vorreiterrolle sichtbar, die Großbritannien bei der Entwicklung der Pop Art gespielt hat. […] Unbedingt sehenswerte Ausstellung. Nicht versäumen!
Michael Stoeber, Kunstforum International, 01.01.2017
„This Was Tomorrow“ ist die zweite große Schau, die Beil kuratiert hat, diesmal zusammen mit Uta Ruhkamp. „Wir haben ganz London auf den Kopf gestellt und eine Pop-Explosion der ersten Güte zusammengetragen“, sagte Beil gestern. Über 500 Exponate sind in Wolfsburg zu sehen.
dpa, 27.10.2016
„Get back“, geh‘ zurück in die 60er Jahre. In eine Zeit, in der die Beatles dieses Lied sangen; in der Neil Armstrong auf dem Mond landete, Alltagsgegenstände zu Kunstobjekten wurden, schöne Frauen für schnelle Autos warben, futuristische Filme liefen, „Get back“ in der Juke Box lief. „This Was Tomorrow“ zeigt, was uns bewegte und noch bewegt: Wohnen, Wettrüsten, Krieg, Umwelt, Konsum, Mode und Musik.
Hans Karweik, Wolfsburger Nachrichten, 28.10.2016
Jetzt können Besucher in der reichen Ausstellung die Anfänge dieser aufmüpfigen Kunst wieder entdecken, die fast naiven Bilder von Peter Blake oder die abstrakte Malerei von Richard Smith. So unterschiedlich die Arbeiten sind, haben sie doch eines gemeinsam. Hinter der vergnüglichen Fassade verbirgt sich ein immens politischer Kern.
Simone Reber, SWR 2, 28.10.2016
Dass der Pop Art auch Frauen gehörten, ist heute allerdings fast vergessen. Doch auch an sie erinnert Uta Ruhkamp. Eine wirkliche Entdeckung ist Jann Haworth: Sie schuf lebensgroße Skulpturen, von denen ihr Lehrer Eduardo Paolozzi ihr riet, sie in Bronze zu gießen. Die Künstlerin entschied sich jedoch, sie in „Stoff zu gießen“: Aus dem typisch weiblichen Material formt sie zum Beispiel einen lässig an einer Wand lehnenden Cowboy oder einen braungebrannten coolen Surfer – und demontiert mit dem weichen Material deren „stählerne Männlichkeit“! Ein halbes Jahrhundert sind diese Arbeiten alt – und noch immer ein ätzender Kommentar auf eine männlich dominierte Gesellschaft.
Anette Schneider, Deutschlandradio Kultur, Fazit, 29.10.2016
Die Inszenierung mittels aufwändiger Ausstellungsarchitektur hat Direktor Ralf Beil schon während seiner Zeit an der Darmstädter Mathildenhöhe perfektioniert. In der hohen Haupthalle des Kunstmuseums sind stilisierte Straßen, Plätze und Künstlerhäuser unterschiedlicher Zuschnitte entstanden, die die Nachbarschaften unterschiedlicher Positionen während der Swinging Sixties verdeutlichen. Hinter jeder Fassade steckt eine Geschichte.
Carsten Probst, Deutschlandfunk, Kultur heute, 31.10.2016
„Wer in das Wolfsburger “Swinging London” reist, taucht tatsächlich in eine andere Epoche ein. Und es ist die große Leistung dieser Ausstellung, dass sie die Exponate in ihrem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zeigt – in dieser faszinierenden Pop-Art-City, die jeder Besucher für sich persönlich immer wieder neu entdecken kann.“
Alexander Kohlmann, Deutschlandfunk, Corso, 01.11.2016
Von Anfang an ist die englische Variante reicher an Facetten, vielstimmiger als die amerikanische. Auch intellektuell differenzierter. Die Amerikaner zitierten die Motive ihrer Kunst aus der Realität ihrer Epoche – die Engländer wollten politisch und ästhetisch eine andere Wirklichkeit. Vor allem Richard Hamilton (1922–2019) sah als Theoretiker wie mit seiner Malerei und seinen Installationen in der Pop-Art die Chance, verkrustete Gegebenheiten, die Architektur nicht ausgenommen, kritisch zu unterlaufen. Damit stand er den Ideen der Bauhaus-Bewegung der zwanziger Jahre in Weimar und Dessau nahe. „Was macht heutige Wohnungen so anders, so verlockend?“ nannte er das Modell einer ironisch-exzentrischen Inneneinrichtung, 1956 eine Attraktion jener „This is Tomorrow“-Schau, die ein helleres Morgen beschwor, als wäre es schon gekommen. England damals ganz vorn.
Peter Iden, Frankfurter Rundschau, 23.11.2016
Dauernd mischen sich in der Ausstellung Nolstalgiemomente mit Gesellschaftskritik, die bis heute Skepsis über das Werbeparadies gießt. 60 Jahre nach Hamiltons bahnbrechender Multimedia-Installation „Fun House” laufen wir links und rechts davon Architekturmodelle und Entwürfe ab, auch ein kurioses „Haus der Zukunft” des Duos Smithson. Wir sehen Fotos, hören Musik. Alles fügt sich zu einem Panorama des „Swinging London” um 1968.
Ingeborg Ruthe, Berliner Zeitung, 28.11.2016
So soll es sein, so muss es sein.Großartig, wenn ein Buch auch dank seines Layouts den Inhalt kommunziert. Unter der Kreativdirektion von Mario Lombardo ist es dem Kunstmuseum Wolfsburg gelungen, die Ausstellung „This Was Tomorrow. Pop Art in Great Britain” (bis 19. Februar 2017) mit einem von Direktor Ralf Beil und Kuratorin Uta Ruhkamp herausgegebenen 420-Seiten-Prachtkatalog zu begleiten, der größte Freude macht, weil er auf allen Ebenen überzeugt.
Informationsdienst Kunst, Ausgabe Nr. 616, 01.12.2016
Der Katalog zur Ausstellung, ist, wie die Ausstellung selbst, fulminant, seine Gestaltung eine Fortsetzung und Ergänzung des kuratorischen Konzepts.
Roger Behrens, Jungle World, 05.01.2017
Für Liebhaber der Ära und für alle, die das Thema als Ganzes überblicken wollen, präsentiert das Kunstmuseum Wolfsburg ein pralles Gesamtpaket der britischen Pop-Kunst. […] Die Analyse von Werbe- und Kommunikationsstrategien, der Wille zur Begründung und Verbreitung neuer Mythen, die Vermischung von High- und Low-Kultur, die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen sowie dem Wert oder Unwert oberflächlicher Effekte: Solche Anliegen der Pop-Kunst sind nach wie vor aktuell.
Ursula Seibold-Bultmann, Neue Zürcher Zeitung, 07.01.2017
In Deutschland war eine vergleichbare Retrospektive seit Jahrzehnten nicht zu sehen. […] Fröhliche Nostalgie ist unangebracht, rückwärtsgewandte Utopie fehl am Platz, eigentlich können einem die Tränen kommen angesichts von so starker Energie eines Aufbruchs. Schön wäre es, wenn die steile Sixties-Revue auch bei solchen Betrachtern ankommt, denen eine Flut von Werken entgegentritt, die vor ihrer Geburt entstanden. Dann spüren sie die Intensitäten eines rasanten Lebensgefühls.
Rose-Maria Gropp, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.01.2017